Wie die Stasi die Regierungen von Adenauer bis Kohl bespitzelt hat
Beitrag auf nzz.ch von Stefan May
Der ehemalige Journalist Heribert Schwan hat für seine Recherche mehr als 81 000 Blatt Aktenmaterial der DDR-Auslandsspionage durchforstet. Es wäre noch weit mehr, hätten die ostdeutschen Geheimdienstler nicht zahlreiche Akten unmittelbar nach der Wende vernichtet.
Zwei Beweggründe gab es, dass sich zumeist westdeutsche Bürger vom ostdeutschen Geheimdienst anwerben liessen oder sich selbst anboten: Entweder waren es ideologische oder finanzielle Gründe. Wenn es darum ging, andere zum Ausspionieren zu überreden, wurde gerne mit zwei Tricks gearbeitet. Bei Männern segelten die MfS-Leute oft unter falscher Flagge: Sie stellten sich als Angehörige ausländischer Konzerne vor, die interne Informationen benötigten. Oder als Agenten einer befreundeten Macht, um dem künftigen Partner dessen Tun nicht gar so verwerflich erscheinen zu lassen.
Bei Frauen wurde erstaunlich erfolgreich der Romeo-Trick angewendet: Gutaussehende MfS-Mitarbeiter begannen mit Ministeriumssekretärinnen gezielt ein Liebesverhältnis, das oft in eine Ehe mündete. Und schon sprudelte eine neue Informationsquelle.
Heribert Schwan beschreibt einige dieser Agenten, die sich oft bis nahe an die Macht hinaufarbeiten konnten – der bekannteste ist wohl Günter Guillaume. 320 Spione bespitzelten allein Bundeskanzler Helmut Kohl im Lauf seiner politischen Tätigkeit. Und da die DDR in allen BRD-Regierungen von Adenauer bis Kohl spionierte, lernt man nebenbei auch einiges über deutsche Zeitgeschichte. Mit der Zeit wird die Lektüre mühsam, weil sich die Abläufe ähneln. Es bleibt der Eindruck des riesigen Aufwands, den die misstrauisch-paranoide Agentenbürokratie des Stasi-Ministers Erich Mielke und seines Spionagechefs Markus Wolf trieb. Aber: Was hat dieser Aufwand den einen genützt, was hat er den anderen geschadet?