Beitrag von Martin Gerecke auf lto.de
Noch ein Sieg für Helmut Kohl: Der ehemalige Bundeskanzler darf nach einem Urteil des BGH die für seine Memoiren gefertigten Tonbänder mit seinen Lebenserinnerungen behalten. Ganz einfach aus Auftrag, erklärt Martin Gerecke.
Die Protagonisten sind stets die Gleichen und in gewisser Hinsicht auch der Inhalt des Streits: Altkanzler Helmut Kohl und sein früherer Ghostwriter Heribert Schwan fechten diverse gerichtliche Kämpfe rund um die Aufzeichnungen der Lebensgeschichte des Politikers aus.
Ein Verfahren ist inzwischen vor dem Bundesgerichtshof (BGH) angekommen. Der hatte sich jetzt mit der Frage zu befassen, wem die Tonbandaufnahmen zustehen, auf denen die teils brisanten Erläuterungen des CDU-Mannes aufgezeichnet sind. Das Ergebnis: Kohl darf sie behalten (Urt. v. 10.07.2015, Az: V ZR 206/14).
Die Grundlagen sind schnell erklärt: Nach dem Vertrag zwischen Kohl und einem Verlag über die Veröffentlichung seiner Memoiren wurde Schwan vom Verlag als Ghostwriter beauftragt. Schriftliche Abreden zwischen Kohl und Schwan bestanden nicht. Die Männer trafen sich in den Jahren 2001 und 2002 an mehr als 100 Tagen im Wohnhaus von Helmut Kohl zu rund 630 Stunden Gesprächen – alle aufgezeichnet auf dem von Schwan mitgebrachten Tonbandgerät. Auf der Grundlage dieser Gespräche verfasste Schwan drei Memoirenbände, aber auch die inzwischen zum Bestseller avancierten "Kohl-Protokolle" mit teils drastischen Aussagen über Zeitgenossen Kohls.Viele Zitate aus diesem Buch mussten später nach Klagen Kohls geschwärzt werden(OLG Köln, Urt. v. 05.05.2015, 15 U 193/14).
Kohl selbst war zur Zeit der Erstellung der Aufnahmen nie im Besitz der Tonbänder; diese bewahrte Schwan zu Hause auf. Nachdem Schwan eine Biografie über Hannelore Kohl veröffentlicht hatte, kam es 2009 zum Zerwürfnis. Der Aufforderung zur Herausgabe sämtlicher Tonbänder und Unterlagen kam Schwan nach dem erstinstanzlichen Urteil des LG Köln nach. Die weitere Berufung Schwans vor dem OLG Köln blieb ohne Erfolg und auch der BGH blieb nun im Ergebnis der Linie der Vorinstanzen treu.
Anders als das OLG Köln entschied der V. Zivilsenat jedoch, Kohl sei nicht Eigentümer der Tonbänder nach § 950 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geworden. Danach erwirbt, wer durch Verarbeitung eine neue bewegliche Sache herstellt, das Eigentum an dieser Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung erheblich geringer ist als der Wert des verarbeiteten Stoffes. Nach Ansicht des BGH wird ein Tonband allein durch das Aufnehmen von Tondokumenten noch nicht zu einer neuen Sache. Dass die Tondokumente historisch wertvoll und einmalig sind, ändere daran nichts.
Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte in dem Aufzeichnungsvorgang noch die Herstellung einer neuen Sache gesehen, jedenfalls dann, wenn die Aufzeichnungen als historische Dokumente für eine längerfristige Nutzung bestimmt seien. Dem BGH war diese Auslegung offensichtlich zu unbestimmt, zumal auch die bisherige herrschende Literatur das Aufspielen von Ton- und Videoaufzeichnungen auf Datenträger nicht als Herstellung einer neuen Sache ansieht. Das zumindest dann, wenn die Aufzeichnung jederzeit wieder gelöscht werden kann.
Der BGH ist mit dieser Einschätzung die Beantwortung der Frage umgangen, ob Kohl tatsächlich Hersteller der Tonbänder ist, wie es noch das OLG angenommen hatte. Hätte sich der BGH damit befasst, wäre die Abgrenzung zum Verlag als möglichem Hersteller virulent geworden. Immerhin war dieser Vertragspartner beider Protagonisten und hatte auch selbst ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Herstellung der Aufnahmen.
Nach Ansicht des BGH seien die Tonbänder allerdings aufgrund eines zwischen Kohl und Schwan bestehenden Auftragsverhältnisses herauszugeben. Dieser Begründung hatte sich auch schon das Landgericht bedient. Das OLG Köln musste sich mit dem Anspruch nicht beschäftigen, da es den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB bejahte. Der BGH wertet die Absprachen der Parteien als konkludent geschlossene, rechtlich verbindliche Vereinbarung über das von Kohl zur Verfügung zu stellende Material, wobei dieser auch als Auftraggeber anzusehen sei.
Insofern habe nach Ansicht des BGH nach den Verlagsverträgen allein Kohl über den Inhalt der Memoiren zu entscheiden. Dies gibt die vertraglichen Vereinbarungen richtig wieder. . Kohl war ausweislich seines mit dem Verlag geschlossenen Vertrages als Autor zu umfassenden Änderungen an dem Werk berechtigt. Der Vertrag sah ferner eine umfassende Übertragung der Rechte von Schwan an Kohl vor, dem auch unter Ausschluss des Nennungsrechts von Schwan das alleinige Recht zur Autorenbezeichnung zustand.
Nach Beendigung der Zusammenarbeit und dem Widerruf des Auftrags sei Schwan nun nach § 667 BGB verpflichtet, alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags erhalten habe. Da Schwan die Lebenserinnerungen von Kohl in körperlich fixierter Form auf Tonbändern im Rahmen des Auftrags erlangt hat, sei er nach Beendigung des Auftrages zur Herausgabe dieser Lebenserinnerungen in eben dieser Form verpflichtet.
Abgeschlossen dürfte das Thema noch immer nicht sein. Der Anwalt Kohls hatte in dem einstweiligen Verfügungsverfahren wegen der Schwärzungen bereits die Klage in der Hauptsache in Aussicht gestellt. Darüber hinaus hat Kohl angekündigt, wegen der Verwendung der Zitate Schadensersatz in Millionenhöhe geltend machen zu wollen.
Ob die Entscheidung des BGH auch Auswirkungen auf die klassische Interviewsituation zwischen Journalisten und Interviewten hat, kann erst nach Kenntnis der vollständigen Urteilsgründe beantwortet werden. Ein konkludentes Auftragsverhältnis wäre zwar auch in dieser Konstellation denkbar. Andererseits unterscheidet sich das Verhältnis zwischen Autor und Ghostwriter – und erst recht jenes zwischen Kohl und Schwan – im Hinblick auf die Zwecke und Interessen, die die Gesprächspartner mit der Aufzeichnung der Inhalte (und deren Veröffentlichung) verbinden, in der Regel erheblich von der üblichen Interviewsituation.
Der Autor Dr. Martin Gerecke, M. Jur. (Oxford) ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht bei CMS Hasche Sigle in Hamburg.