Fast ein Kriminalroman: Heribert Schwans „Spione im Zentrum der Macht“ zeichnet die Realität der DDR und ihren Aufklärungsapparat in Westdeutschland so akkurat wie möglich nach
Beitrag aus der „Neuen Westfälischen“ (Bielefeld) von Klaus Prömpers
München. Kriminalroman, Liebesgeschichte oder Sachbuch? Pünktlich zum 30. Jahrestag des Mauerfalls legt Heribert Schwan einen, fast möchte man sagen: Kriminalroman vor. Aber sein Buch „Spione im Zentrum der Macht – Wie die Stasi alle Regierungen seit Adenauer bespitzelte“ versucht, die Realität der DDR und ihres Aufklärungsapparates im Westen Deutschlands nachzuzeichnen – so akkurat wie möglich angesichts der Tonnen vernichteten Materials in der Dämmerung der untergehenden DDR.
Das gelang nicht umfassend, und so kann Schwan wieder einmal die spektakulärsten Spionagefälle der Bundesrepublik West seit 1949 bis 1989 aufbauend auf zum Teil neuen Material der Stasi-Behörden rekonstruieren.
Beginnend mit dem ersten Kanzler Konrad Adenauer bemühten sich die „Späher“ aus Ostberlinum Einsicht und Akten. Adenauers Westintegrationskurs und der Wiederaufbau einer Armee ab 1955 wurden ebenso intensiv verfolgt, wie jene Mitarbeiter, die ihm dabei halfen. Die DDR interessierte vor allem, ob es sich um ehemalige Nationalsozialisten handelte, die ihre Vergangenheit zu verbergen suchten. An der Spitze wurde Adenauers Staatssekretär Theodor Globke ausgeforscht. Der Jurist und NSDAP-Mitglied in Nazi Zeiten hatte die Rassegesetze Hitlers kommentiert.
Eingeschleuste Agenten, Romeos, gut ausgebildet, so schildert Schwan, vermochten in etlichen Vorzimmern der Macht Sekretärinnen zu werben. So wird aus dem Kriminalreport bisweilen eine Analyse von vorgeblichen Liebesbeziehungen. Im Ergebnis derer landeten kopierte Akten aus Kanzleramt, Außen-, Innen-, Innerdeutschem und Verteidigungsministerium bei SEDChef Walter Ulbricht.
1952 verfügte die Staatssicherheit der DDR bereits über mehr als 1.500 geheime Zuträger, damals genannt „Kundschafter“, in der Bonner Regierungszentrale. Getarnt als „Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung“ wurde im Jahr 1952 Markus Wolf im Alter von 29 Jahren der Chef dieses Auslandsgeheimdienstes. Ein Jahr vor dessen Ende zählte die Stasi dann 1.856 „Offiziere im besonderen Einsatz“ in Westdeutschland. 1974 erschütterte einer der größten Spionageskandale die junge Westrepublik und führte zum Rücktritt von Kanzler Willy Brandt: das Ehepaar Guillaume wurde festgenommen. Günter Guillaume arbeitete als Referent für Gewerkschaften, Kirchen und Partei im Kanzleramt in unmittelbarer Nähe zu Willy Brandt.
Nicht nur die Kanzler von Adenauer bis Kohl wurden bespitzelt. Sondern auch Politiker der jeweiligen Opposition von Erich Mende bis Herbert Wehner. Auf Helmut Kohl waren insgesamt 320 Spione angesetzt. Lediglich von 70 ist die Identität bekannt, der Rest lebt unter Umständen noch heute unbehelligt irgendwo in Deutschland. Mancher Spion sass fest im Amt, wie der Westberliner Bundestagsabgeordnete William Borm, zugleich Mitglied des Bundesvorstandes seiner Partei. Er informierte unter dem Decknamen „Olaf“ seine Auftraggeber in Ostberlin. Der frühere SPD Fraktionsgeschäftsführer Karl Wienand lieferte unter dem Decknamen „Streit“. Heribert Schwan legt ein Kaleidoskop der ostdeutschen Spionage im Kalten Krieg vor. Für den Kundigen wenig Neues, aber für den Unkundigen erzeugt es immer noch Gänsehaut.
Heribert Schwan:
„Spione im Zentrum der Macht – Wie die Stasi alle Regierungen seit Adenauer bespitzelt hat.“
Heyne Verlag, 384 S., 24 €