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KARLSRUHE. Altkanzler Helmut Kohl sollte im Streit mit seinem Memoirenschreiber als Entschädigung eine Million Euro bekommen - doch seine Witwe erhält das Geld nicht, entscheidet das Verfassungsgericht.
Es bleibt dabei: Die Witwe von Helmut Kohl bekommt nicht die Rekord-Entschädigung von einer Million Euro, die dem Altkanzler kurz vor dessen Tod zugesprochen wurde. Eine Verfassungsbeschwerde von Maike Kohl-Richter gegen entsprechende Gerichtsurteile blieb erfolglos, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte. Damit wäre nun höchstens noch möglich, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.
Zahlen sollten Autor und Verlag des Bestsellers „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“, das Kohls Memoirenschreiber Heribert Schwan (78) nach einem Zerwürfnis ohne dessen Einverständnis verfasst hatte.
Bevor es zum Bruch kam, hatte Kohl den Journalisten und Historiker Schwan 2001 und 2002 an mehr als 100 Tagen bei sich daheim in Ludwigshafen-Oggersheim empfangen und ihm freimütig aus seinem Leben erzählt. Für die „Kohl-Protokolle“ bediente sich Schwan aus dem umfangreichen Material, das er auf Band hatte. Das Buch wurde auch deshalb so ein Erfolg, weil es sehr deftige Aussagen Kohls über zahlreiche bekannte Persönlichkeiten enthielt - die der langjährige CDU-Kanzler nicht zur Veröffentlichung freigegeben hatte.
Wegen verletzter Persönlichkeitsrechte hatte das Kölner Landgericht ihm 2017 eine Million Euro zugesprochen - die bis zu diesem Zeitpunkt höchste Entschädigung der deutschen Rechtsgeschichte. Als der 87-Jährige wenige Wochen später starb, war dieses Urteil allerdings noch nicht rechtskräftig. Seither kämpft seine Witwe um das Geld.
Vor einem Jahr hatte der Bundesgerichtshof (BGH) allerdings entschieden, dass so ein Anspruch grundsätzlich nicht vererbt werden kann. Bei der Urteilsverkündung sagte der Vorsitzende Richter, eine Geldentschädigung diene in erster Linie der Genugtuung. „Einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden.“
Die Verfassungsrichterinnen und -richter haben hiergegen keine Bedenken. Es gebe keinen Grundsatz, der besage, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets eine Entschädigung nach sich ziehen müsse.
Die zuständige Kammer des Ersten Senats nahm auch eine zweite Klage Kohl-Richters nicht zur Entscheidung an. Dabei ging es um 116 umstrittene Passagen, die zwar Schwan nicht mehr verbreiten darf, aber der Verlag zum größeren Teil. Denn laut BGH sind nur Textstellen tabu, bei denen Kohl entweder falsch zitiert oder mehrdeutige Aussagen in eine bestimmte Richtung missinterpretiert wurden. Ein Verstorbener ist demnach aber nicht davor geschützt, dass Sätze, die tatsächlich so gefallen sind, später veröffentlicht werden.
Auch diese Einschätzung teilen die Verfassungsrichter. „Der vom Erblasser durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden“, teilten sie mit. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen sei „nicht der innerste Kern der Persönlichkeit“ berührt. (Az. 1 BvR 19/22 u.a.)
Heute ist das Buch, das 2014 im Heyne Verlag erschienen war, nur noch als E-Book auf dem Markt - mit Auslassungen. Maike Kohl-Richter hat wegen der „Kohl-Protokolle“ noch andere Gerichtsverfahren angestrengt. Aktuell läuft am Kölner Oberlandesgericht ein Zivilprozess zu weiteren Zitaten aus dem Buch. Die Herausgabe der Original-Tonbänder hatte Kohl noch zu Lebzeiten durchgesetzt.