Beitrag auf tagesspiegel.de von Jost Müller-Neuhof
Maike Kohl-Richter hat bis jetzt um ein Buch mit Zitaten ihres verstorbenen Mannes gestritten. So wichtig, wie sie es machte, war es aber nicht. Eine Analyse.
Maike Kohl-Richter hat gekämpft bis zum Schluss, doch ihr Rechtsstreit um ein Buch mit kompromittierenden Zitaten ihres verstorbenen Ehemanns ist jetzt endgültig verloren gegangen. Mit zwei am Donnerstag veröffentlichten Beschlüssen wies das Bundesverfassungsgericht Beschwerden der Witwe von Altkanzler Helmut Kohl gegen frühere Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) zurück.
Kohl-Richter wollte ursprünglich 116 Textstellen aus dem Buch streichen lassen und insgesamt fünf Millionen Euro Entschädigung.
Das Buch „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ der Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens hatte bei Erscheinen im Oktober 2014 einiges Aufsehen erregt. Zeitgeschichtlich vielleicht weniger bedeutend, wartete es mit einer Fülle verächtlicher Kohl-Zitate über politische Wegbegleiter auf.
Von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war zu erfahren, ihre Tischmanieren seien defizitär, andere wurden als „Null“ oder „Verräter“ tituliert. Die Presse stürzte sich darauf.
Schwan und seinem mittlerweile verstorbenen Co-Autor Jens war ein Coup geglückt, den viele ebenfalls als Verrat bezeichneten. Der frühere WDR-Journalist sollte ursprünglich als Ghostwriter Kohls Memoiren verfassen und war dafür Hunderte Stunden zu Gast in Kohls Privathaus in Ludwigshafen-Oggersheim. Ein Tonband lief immer mit.
Drei Memoiren-Bände kamen auf den Markt, dann hatte Kohl einen Unfall. Es kam zum Zerwürfnis, wofür Schwan Maike Kohl-Richter verantwortlich machte. Die Tonbänder behielt er und schrieb daraus seinen Bestseller.
116 Textstellen im Buch „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ wollte Maike Kohl-Richter streichen lassen.
Weil Kohl und Schwan jeweils nur Verlagsverträge hatten, aber keinen über ihre direkte Kooperation, war die Rechtslage schwierig. Schwan sah ein neues Geschichtsbild heraufziehen und sich selbst als Apologet der Pressefreiheit; Kohl sah sein Andenken ruiniert.
Die gerichtliche Auseinandersetzung war, noch zu Lebzeiten Kohls, ein Punktsieg für den Politiker. Er bekam die Rekord-Entschädigung von einer Million Euro zugesprochen, viele Passagen im Buch wurden verboten.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme (...) nicht der innerste Kern der Persönlichkeit betroffen.
ie 1. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts
zum Streit um die Kohl-Zitate
Aber der Streit zog sich und Kohl starb 2017. Der BGH erteilte der Witwe hinsichtlich der Entschädigung eine Abfuhr, weil sie Geldansprüche wegen verletzter Persönlichkeitsrechte nicht erben könne. Es gehe hier um Genugtuung, die man nur höchstpersönlich empfinden könne, hieß es. Im Zitate-Streit konnte sie nur einen Teilsieg verbuchen.
Kohl-Richter zog daraufhin zum Karlsruher Nachbargericht. Kern ihrer Argumentation: Kohls angeblich verletzte Menschenwürde, Artikel eins des Grundgesetzes, die praktisch dasselbe sei wie sein Persönlichkeitsrecht.
Beide Urteile seien aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, entschied nun eine Kammer des Ersten Senats (Az.: 1 BvR 19/22, 1 BvR 110/22). Geld gab es auch jetzt nicht. Die „postmortale Menschenwürde“ Kohls sei immer noch hinreichend dadurch geschützt, dass die Witwe für ihn Unterlassungsansprüche geltend machen könne.
Doch auch das Zitate-Urteil des BGH hält das Verfassungsgericht für ausreichend differenziert. Kohl-Richter habe nicht darlegen können, dass der „allgemeine Achtungsanspruch“ Kohls so grob herabgewürdigt oder erniedrigt worden sei, dass es ihn in seiner Menschenwürde betreffe.
Maßgeblich für diese Einschätzung war wohl auch das Arrangement zwischen Schwan und Kohl: „Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme gegenüber einem vertraglich zur Anfertigung von Entwürfen seiner Memoiren verpflichteten Journalisten nicht der innerste Kern der Persönlichkeit betroffen“, heißt es dazu.
Mit anderen Worten: Wer mit einem Journalisten redet und sich bei ihm über die eigene Größe und die Niedrigkeit der anderen auslässt, kann sich schlecht auf den Schutz seiner Persönlichkeit berufen. Das ist einigermaßen deutlich und lässt Kohl-Richters Ehrenrettungsversuch vor dem Verfassungsgericht orientierungslos erscheinen.
Einige Tausend Verfassungsbeschwerden jährlich weist das Gericht ohne Begründung ab. Dass die Witwe eine bekam, wenn auch keine ausführliche, ist vermutlich nur mit Kohls „durch seine Lebensleistung erworbenen sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert“ zu erklären, von dem in den Beschlüssen ebenfalls die Rede ist.