Stellen Sie sich vor, Sie treffen Heribert Schwan und Tilman Jens auf einer Party. Die beiden Autoren des Kohl-Vermächtnisses kommen mit Ihnen ins Gespräch und plaudern nach einiger Zeit im vertrauten Ton aus dem Nähkästchen über ihre Erfahrungen und Erlebnisse rund um die Entstehung und Veröffentlichung des Buchs „Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle“ Darüber, wie es zu dem Buch kam, welche Geschütze von Kohl bzw. Kohls zweiter Ehefrau, Maike Richter Kohl, aufgefahren wurden und immer noch werden, um die beiden an der Veröffentlichung zu hindern und was Helmut Kohl über seine Parteifreunde und -feinde wirklich dachte.
So ungefähr müssen sich die Gäste der Veranstaltung im Cafe Rautenkranz am Dienstagabend gefühlt haben, als sie nicht nur die angekündigten Einblicke in das Denken des Altkanzlers erhielten, sondern auch ausführlich über die ganze juristische Schlammschlacht rund um die Kohl-Biografie und ihre Entstehung ins Bilde gesetzt wurden.
Das Buch hat nach seinem Erscheinen hohe Wellen geschlagen. Die Medien haben vor allem die Klatschkomponenten herausgepickt und sich auf Passagen wie die mittlerweile bekannten Aussagen Kohls zu Merkels Essverhalten („konnte nicht richtig mit Messer und Gabel essen“) oder über Norbert Blüm als „Verräter“ gestürzt. Doch dies werde dem Buch nicht gerecht, meint Tilmann Jens. Er als Kohl-Kritiker habe durch die Aufzeichnungen Schwans die vielen Facetten des Staatsmannes Kohls erst kennen gelernt und zeige durchaus auch Bewunderung für dessen lebendige Sprache, die teils liebenswert sei und Größe, Direktheit und Offenheit beinhalte. Diese Offenheit ungefiltert wiederzugeben sei sein Anliegen, beteuert Heribert Schwan. Um Geld ginge es ihm dabei nicht, sondern darum, wichtige Dokumente der Zeitgeschichte so wiederzugeben, wie sie tatsächlich und faktisch aufgenommen bzw. niedergeschrieben wurden.
Dies zu verhindern sei eigentlich – zumindest bis 2005 – nie Kohls Absicht gewesen. Er habe immer dem „Volksschriftsteller“, wie er seinen Ghostwriter Heribert Schwan nannte, vertraut. Doch als Kohl nach dem Selbstmord seiner Frau seine nun zweite Ehefrau kennenlernte, kam es zu diversen Spannungen. Offenbar war dies der Beginn eines Machtkampfes um die Deutungshoheit über den großen Staatsmann Helmut Kohl. Maike Kohl-Richter auf der einen, Heribert Schwan auf der anderen Seite. Kohl-Richter war bei den Vorbesprechungen zum neuen Band oft nicht einverstanden mit den Manuskripten, nörgelte an Inhalt und Orthographie, versuchte ihren Einfluss geltend zu machen. Sie scheiterte im ersten Anlauf und war fortan auf Wunsch Schwans nicht mehr anwesend, wenn über das geplante Werk gesprochen wurde.
Nach seinem schweren Sturz 2008 und den damit verbundenen körperlichen Einschränkungen ließ Kohl jedoch nichts unversucht, um die Autoren auszubremsen. Dass dahinter seine zweite Ehefrau steckt, sei naheliegend. Kaum jemanden gewährt sie Zugang zu Kohl, der seit dem Unfall im Rollstuhl sitzt, geistig hellwach, aber kaum sprechfähig ist. Der Rechtstreit zieht sich hin, Schwan musste bereits einige Niederlagen einstecken. Original-Tonaufzeichnungen der vielen Gespräche mit dem Alt-Kanzler mussten an Helmut Kohl übergeben und Zitate des Buches gestrichen werden. Dass man die entsprechenden Zitate in dem Gerichtsurteil lesen kann und wo dieses zu finden ist, dürfen die Autoren jedoch erwähnen, und von diesem Recht machen sie in der neuen Auflage Gebrauch. Die alte „verbotene“ Auflage darf weiter verkauft werden, so lange sie noch in den Regalen liegt. Ihren Höhepunkt wird die juristische Auseinandersetzung in Kürze beim BGH in Karlsruhe finden.
ie Besucher des prall gefüllten KulturCafe Rautenkranz durften einen Blick hinter die Fassade der Familie Kohl werfen und sind mit Eindrücken nach Hause gegangen, die von Schwans ursprünglicher Nähe und Vertrautheit zu Kohl geprägt waren. Alle Fragen aus dem Publikum wurden ehrlich und ausführlich beantwortet. Kaum ein Thema wurde dabei ausgespart, angefangen von Kohl Verhältnis zu seinen Söhnen über die verschlossenen Stasi-Akten, in die Schwan Einblick hatte, bis hin zur Rolle George Buschs bei der Wiedervereinigung. Vielleicht ist es der gemütlichen und familiären Atmosphäre des Cafes geschuldet, dass die Autoren so offen berichteten. Beim Publikum kam das gut an.