Fritz Pleitgen ist tot. Er holte Heribert Schwan 1989 vom Deutschlandfunk zum WDR. Der Förderer des Film- und Buchautors pflegte bis zu seinem Tod enge Kontakte zum Kölner Journalisten. Legendär sind die regelmäßigen Lunch-Treffen im Sterne-Restaurant Alfredo – ein Steinwurf vom WDR entfernt.
Beitrag auf faz.net von Michael Hanfeld
Fritz Pleitgen hat uns als Korrespondent die Welt in Ost und West erklärt. Nun ist der Reporter und spätere WDR-Intendant im Alter von 84 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Kürzlich war Fritz Pleitgen noch einmal auf dem Bildschirm. In Frank Plasbergs Talkshow wurde er mit einem Statement eingespielt, wie wir es in den vergangenen Monaten häufig hören. Er habe sich in Wladimir Putin getäuscht, sagte Pleitgen.
Der Rote Platz ist leer
Putin hat in diesem Land viele getäuscht. Manche täuschen sich immer noch. Aber wenn der frühere Osteuropa-Korrespondent der ARD das sagt, hat es etwas Besonderes: Ein historisches Kapitel wird geschlossen. Pleitgen war einer der prägenden Auslandskorrespondenten in der Zeit des Kalten Kriegs. Erst in Moskau, dann in Ost-Berlin, später in Washington, schien er omnipräsent, ein Welterklärer, wie es ihn auch mit dem vor zwei Jahren verstorbenen Gerd Ruge gab. Ohne Pleitgen, sagte der SZ-Journalist Hans Leyendecker einmal, wirke der Rote Platz in Moskau doch irgendwie leer.
Das wirkte er auch, doch mutet einem die Zeit des Kalten Kriegs heute als eine der Verlässlichkeiten an, auf die wir viel zu lange vertraut haben. Noch 2014, als Putin auf der Krim einmarschierte, zählte Pleitgen zu denen, die meinten, man müsse die Gekränktheit der russischen Seele irgendwie verstehen. Die Publizistin und Psychologin Marina Weisband war damals, wie inzwischen noch der Letzte kapiert hat, schlauer. Die Bestialität, die Putin zur Tugend erklärt, zeigt sich mit jedem Kriegsverbrechen, das die russische Armee in der Ukraine verübt.
Als Fritz Pleitgen den Deutschen erklärte, wie es auf der andere Seite des Eisernen Vorhangs zuging, folgte der Kampf der Systeme noch waffenstarrender Rationalität. Und die „einfachen“ Menschen, die uns Pleitgen, wenn er in den Berichtsländern unterwegs war, vorstellte, waren doch nicht so andersartig.
Dem Publikum die Welt über Geschichten von Menschen nahezubringen, Reporter, Korrespondent sein, das erkannte Fritz Pleitgen schon im Alter von vierzehn Jahren als seine Berufung. Und mit Vierzehn fing der am 21. März 1938 in Duisburg als Sohn eines Krupp-Arbeiters Geborene tatsächlich an, als Sport- und Gerichtsreporter der „Freien Presse“ Bielefeld, wo er von 1959 an ein Volontariat absolvierte. 1963 ging er zum Westdeutschen Rundfunk nach Köln und arbeitete für die „Tagesschau“.
Sendungsbewusstsein war ihm nicht fremd, als Unterstützer der Ostpolitik von Willy Brandt trat er in die SPD ein, und als Verfechter derselben nahm man ihn als Korrespondent wahr. 1970 ging Pleitgen ins ARD-Studio Moskau, 1977 nach Ost-Berlin, 1982 nach Washington. Pleitgen kam mit Breschnew, Honecker oder Krenz ins Gespräch. Dahinter steckte harte Arbeit, stets überwacht von den Aufpassern des KGB und der Stasi. Kritiker hielten Pleitgen vor, er gehe zu nachgiebig mit Vertretern der Diktatur um. Dabei zeigte er die Risse in der Fassade des real existierenden Sozialismus fein auf, er hatte ein Auge für die Dissidenten und die Opposition.
Und dann wurde der Reporter mit der sonoren Stimme Hierarch: 1988 WDR-Chefredakteur, Hörfunkdirektor (er rief die Jugendwelle 1live ins Leben) und 1995 Intendant. Da fand er sich wieder in einer Art Kaltem Krieg. Die Privatsender jagten mit ihrem Zuschauererfolg den Öffentlich-Rechtlichen Angst und Schrecken ein, der große Antipode hieß Leo Kirch. Und es war damals in der ARD, was man schnell vergessen kann, nicht ganz anders als heute: Der Senderverbund musste einen gigantischen Schleichwerbeskandal bewältigen. Die von ARD-Sendern getragene Produktionsfirma Bavaria hatte jahrelang versteckte Werbung ins Programm geschmuggelt. Das sei der „schwerwiegendste Fall“ gewesen, mit dem er es je zu tun hatte, sagte Fritz Pleitgen später.
Als vierzehnjähriger Reporter hatte er fürs Fußballticket noch bezahlen müssen, als Intendant blieb er auf dem Bildschirm präsent. Bis Ende 2006 moderierte er den „Presseclub“. Im Sommer 2007 ging Pleitgen als Intendant in Ruhestand. Um seinen Abgang hatte es ein unwürdiges politisches Hickhack gegeben, in dem sich Pleitgens eigene Partei, die SPD, besonders negativ hervortat. Ausgeschieden aus dem Rundfunk, übernahm Pleitgen die Geschäftsführung der „Ruhr. 2010 – Kulturhauptstadt Europas“. Dazu war er, wie bei seinen Stationen zuvor, berufen worden, weil sein persönliches Ansehen ein Pfund war.
Sein ehrenamtliches Engagement war mannigfaltig. Von 2011 bis 2021 war Pleitgen Präsident der Deutschen Krebshilfe, Pate des Kinderhospizes Bethel und Ehrenvorsitzender des Lew-Kopelew-Forums, um nur einige seiner Aktionsfelder zu benennen. Er habe „den WDR geprägt wie kaum ein anderer“, sagt der jetzige Intendant Tom Buhrow: „Fritz Pleitgen stand für Mut und Fairness, und er liebte seinen WDR. Seine Ausstrahlung geht aber weit über diesen Sender hinaus“. Fritz Pleitgen hinterlässt seine Frau und vier Kinder. Sein Sohn Frederik führt bei CNN als Korrespondent das Vermächtnis des integren Weltreporters fort. Am Donnerstag ist Fritz Pleitgen im Alter von 84 Jahren gestorben.