26. Mrz 2023

Deutsche Rechtsprechung: Gespött in der Fachwelt

Beitrag auf overton-magazin.de von Gaby Weber

Gericht muss entscheiden, ob von seiner Witwe in ihrem Haus gelagerte Akten von Alt-Bundeskanzler Kohl  wie gesetzlich vorgeschrieben in das Bundesarchiv müssen

Am Mittwoch, den 29. März, um 11 Uhr wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die entwendeten Akten von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl entscheiden, die – statt, wie gesetzlich vorgeschrieben, im Bundesarchiv – im Keller seiner Witwe in Oggersheim unter Verschluss sind. Und die Witwe Maike lässt, wenn überhaupt, nur ausgewählte Journalisten an diese Dokumente heran.

Eigentlich hätten die Behörden diesem illegalen und blamablen Treiben längst ein Ende setzen müssen, aber das Gegenteil ist der Fall: die geltende Rechtsprechung, auch die des Leipziger BVerwG, verneint eine Wiederbeschaffungspflicht und zementiert damit einen rechtswidrigen Zustand, der etwa in den USA ein Fall für das FBI ist.

Der Reihe nach. Wie in der Bundesrepublik Usus, packte auch Helmut Kohl, als er sein Kanzlerbüro verließ, seine Akten in Kisten und schickte sie an die parteieigene Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin. Strafrechtlich gilt das als „Verwahrungsbruch“, da Akten des Kanzleramts in das Bundesarchiv gehören.

Jahre später wollte der Altkanzler seine Memoiren schreiben und beauftragte den Historiker Heribert Schwan. Er rief in Sankt Augustin an und bat um Übersendung der zuvor überlassenen Akten. Und die kamen prompt in Oggersheim an, die Originale wohlgemerkt. Später kam es zum Streit mit dem Ghostwriter, die Details wurden bekannt und auch die Stiftung gab den Versand zu. Auf meine Anfrage allerdings, um welche konkreten Akten mit welchen Registriernummern es sich gehandelt hatte, erhielt ich keine Antwort.

Kohl verstarb 2017, und erst dann schrieb das Bundesarchiv der Witwe einen freundlichen Brief, ihm doch bitte, bitte Zugang zu dem Material zu gewähren, um es zu sichten, Geheimmaterial unter Verschluss zu nehmen etc. Die Witwe soll, nach Pressemitteilungen, auf diesen Brief nicht geantwortet haben. Das Bundesarchiv verzichtete auf weitere Maßnahmen, schickten keinen Gerichtsvollzieher oder das BKA nach Oggersheim, um den Keller zu knacken.

Ich schickte ihr ebenfalls 2017 einen Brief, in dem ich höflich um Einsichtnahme in diese Akten bat. Auch dieser Brief wurde nicht beantwortet. Ich erstattete Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Zweibrücken, wo man allerdings keinen „Anfangsverdacht“ sehen wollte. Auch mein Antrag auf Klageerzwingung hatte keinen Erfolg, ebenso wenig eine Verfassungsbeschwerde. Ich habe dagegen Beschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingelegt.

Ich reichte Klage gegen das Kanzleramt ein. Denn das von mir erstrittene Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte 2017 klargestellt, dass Kanzlerakten Eigentum der Bundesrepublik seien – also ins Bundesarchiv und nicht in private Stiftungen oder in die Verliese von Witwen gehören. Allerdings hatte Karlsruhe darauf verzichtet, die Wiederbeschaffungspflicht in das Urteil zu schreiben. Eigentlich ist das selbstverständlich, denn es ist Aufgabe der Justiz, für Recht und Ordnung zu sorgen. Aber genau darum drücken sich die Verwaltungsrichter, auch die in Leipzig. Denn die mächtigen Parteistiftungen wollten dieses Material nicht aus der Hand geben und sich nicht mit Kopien abfinden. Und offensichtlich stehen die Wünsche der Parteien über den Gesetz.

Auch bei der Novellierung des Bundesarchiv-Gesetzes wurde auf die Festschreibung der Wiederbeschaffung verzichtet – unter dem Motto: einmal geklaut, immer verloren. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte noch im letzten Jahr meine Klage auf Rückführung der Kohl-Akten in das Bundesarchiv verworfen.

Doch seitdem ist Ungewöhnliches auf der anderen Seite des Atlantiks passiert: Das US-Bundesarchiv NARA schickte das FBI zuerst zu Ex-Präsident Donald Trump und ließ die Cops den Safe aufbohren und in der Unterwäsche von Melania nach amtlichen Dokumenten suchen. Das FBI wurde fündig und beschlagnahmte mehrere Kisten, unter anderem geheime Dokumente (Trumps Anwesen wurde nach Akten durchsucht – in Deutschland undenkbar). Kurze Zeit später tauchte das FBI auch bei dem amtierenden Staatschef Biden zu Hause auf und beschlagnahmte ebenfalls Material. Ob die beiden mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben, ist noch nicht entschieden. Die deutsche Presse berichtete ausführlich über die FBI-Aktionen, unterließ aber die Frage, warum in Deutschland das BKA nicht nach Oggersheim abkommandiert wird. So wurde, zumindest in der Fachwelt, die Bundesrepublik zum internationalen Gespött.

Man darf gespannt sein, wie sich die Leipziger Verwaltungsrichter aus der Affäre ziehen. Werden sie an ihrer bisherigen (peinlichen) Rechtsprechung festhalten und die Kanzlerakten im Oggersheimer Keller abnicken? Auf jeden Fall wird die Verhandlung am kommenden 29. März spannend, wie gesagt, um elf Uhr.