24. Jun 2017

Ein Trauerspiel

Beitrag auf deutschlandfunk.de von Markus Feldenkirchen

Man könne nur noch Mitleid haben mit Helmut Kohl, kommentiert Markus Feldenkirchen im Dlf. Eine solch verkorkste Hinterlassenschaft, ein solches Drama, privat wie politisch, habe der Altkanzler nicht verdient. Fast scheine es, als sei er aus der Welt geschieden, ohne seinen Frieden mit ihr gemacht zu haben.

Eigentlich kann man nur noch Mitleid empfinden. Nein, dieser Wirbel, dieses würdelose Schauspiel, das da rund um den ewigen Bungalow zu Oggersheim aufgeführt wird, passt nicht zur historischen Größe von Helmut Kohl, dessen immense Verdienste um Deutschland und Europa in diesen Tagen zurecht gewürdigt werden.

Die meisten Menschen streben danach, dass sie ihre Angelegenheiten geregelt haben, wenn der Tod näher rückt. Bei Kohl war, das zeigt sich in diesen Tagen, gar nichts geregelt: Nicht das Verhältnis zu seiner Familie, vor allem zu seinen Söhnen und Enkeln. Nicht das Verhältnis zu seinen früheren Freunden und Weggefährten. Es ist beschämend, dass Kohls treustem Diener, dem Fahrer Ecki Seebert in Oggersheim buchstäblich die Tür vor der Nase zugeknallt wurde.

Und ein weiteres bleibt völlig ungeklärt: Das Verhältnis zu Kohls Partei und deren Vorsitzenden Angela Merkel. Zu einer Partei, mit der er viele Jahrzehnte lang nahezu verschmolzen schien.

Würdelose Situation

Um es klar zu sagen: Was seit Kohls Tod geschieht hat bestenfalls RTL2-Niveau. Die Umstände dieses Todes sind an Würdelosigkeit, an Tragik und Traurigkeit kaum zu unterbieten.

Dazu gehört, dass eine Boulevard-Zeitung sich dieser Tage als exklusiver Medienpartner für Todes-, Begräbnis- und Vermächtnis-Fragen versteht, was zu einer bisweilen schlüpfrig-pathethischen Berichterstattung führt. Spätestens als der Ex-"Bild"-Chefredakteur, Kai Dieckmann, vorigen Freitag Kohls Sohn Walter die Tür des Oggersheimer Bungalows öffnete, um ihn nach Jahren der Kontaktsperre zu dessen Vater zu lassen, wenn auch nur zu dessen Leichnam, spätestens seitdem ist klar, dass etwas nicht gestimmt hatte in den letzten Lebensjahren dieses großen Politikers. Als Walter Kohl dann am Mittwoch mit seinen zwei Enkeln zurück zum Bungalow kam, sollen sie von Polizisten des Platzes verwiesen worden sein.

Altkanzler ohne eigenen Willen

Eigentlich also müsste man Mitleid mit Kohl haben. Aber ist an der Würdelosigkeit der Situation tatsächlich nur seine zweite Frau Schuld? Natürlich kann man das, was so verstörend wirkt, allein Maike Kohl-Richter zuschreiben. Ganz falsch scheint das nicht zu sein. Denn: Wer Kohl in den vergangenen Jahren besuchen durfte, berichtete, dass der Altkanzler seinen eigenen Willen längst nicht mehr ausdrücken konnte.

Hätte Kohl sich sonst ernsthaft Viktor Orban als Redner auf seiner Trauerfeier gewünscht? Dieser Wunsch, vorgetragen von seiner Frau Meike, erscheint völlig absurd. Ein ungarischer Nationalist und Autokrat, der nicht nur die Europäische Union verachtet, sondern auch die Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung im eigenen Land? Der Anti-Europäer Orban als Redner bei Kohl, dem Ehrenbürger Europas?

Andererseits wurde Orban in der Flüchtlingskrise zum großen Gegenspieler von Angela Merkel, die offenbar laut Meike Kohl-Richter nicht bei der Trauerfeier reden sollte. Das würde wiederum zu Helmut Kohl passen, der es Merkel nie verzeihen konnte, dass sie sich, obwohl er sie doch gefördert hatte, auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre von ihm distanzierte.

Staatsmann und Kleinkrämer

Nein, das tiefere Problem ist wohl nicht allein Kohls Witwe. Das Problem ist, dass Kohl zwar ein großer Staatsmann, aber zugleich auch ein ziemlicher Kleinkrämer war. Er war nachtragend und stur, und ihm fehlte bis zuletzt das nötige Unrechtsbewusstsein für die schwarzen Parteikassen, die er anlegen und füllen ließ. Weil er sich mit den Jahren immer mehr selbst für den Staat gehalten hatte, und glaubte, über dem Gesetz zu schweben. So verstand er jedes Mittel, um "die bösen Sozis" von der Macht zu halten, und sei es mit einer illegal gefüllten CDU-Parteikassen, irrigerweise als Dienst an seinem Land.

Er hat sich dann genau gemerkt, wer ihn für diesen Gesetzesbruch kritisierte. Das Verhältnis zu seiner Partei ging dadurch in die Brüche, was tragisch genug ist. Nun scheint es, als würde selbst der Tod keinen Frieden, keine Versöhnung ermöglichen.

Eine solch verkorkste Hinterlassenschaft, ein solches Drama, privat wie politisch, hat dieser Kanzler nicht verdient. Es scheint, als sei er aus der Welt geschieden, ohne seinen Frieden mit ihr gemacht zu haben. Das, und nicht der Tod im Alter von 87 Jahren, ist die eigentliche Tragik des Helmut Kohl.