11. Okt. 2014

Fernseh gucken mit Helmut Kohl

11.10.2014/ Ulmen TV

Fernseh gucken mit Helmut Kohl

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Die Einladung kommt überraschend, aber auf der anderen Seite kann man schon verstehen, warum Helmut Kohl so einiges richtigzustellen hat in diesen Tagen. Heribert Schwans Enthüllungsbuch ist auf den Markt gekommen und hat für Wirbel gesorgt ob der Zitate, die er dort erstmals veröffentlicht. Privat heult die gesamte Polit-Elite auf, während öffentlich geschwiegen wird, indem jeder Kommentar vermieden wird. Nach einer 8-stündigen Fahrt mit dem erschlichenen Interrailticket meines Schwippschwagers erreiche ich Oggersheim und benutze die Öffentlichen, um in der Marbacher Straße direkt vorm Bungalow des Exkanzlers auszusteigen. Nach kurzem Geplänkel mit den Sicherheitsleuten sowie einer Taschenkontrolle werde ich von Maike Kohl-Richter freundlich begrüßt und hinein gewunken. Draußen beginnt es zu dunkeln.

Durch Gänge, die ausgekleidet sind mit meterlangen Bruchstücken der Berliner Mauer sowie Fotografien Kohls beim Speisen mit berühmten Menschen von Margaret Thatcher über Ronald Reagan bis hin zu Siegfried und Roy, gelangen wir in das von Schwan als gemeinsamer Arbeitsplatz für die Kohl-Autobiografie so berühmt wie berüchtigt gewordene Kellerzimmer. Kohls Lieblingsort, darauf weist mich Maike („Sie dürfen mich gerne Maike nennen, Maike Kohl-Richter.“) hin. Der Altkanzler sieht erstaunlich gesund aus, rosige Backen, die vor zwei Wochen per einstweiliger Verfügung vom Haus der Geschichte in Bonn zurück erhaltene schwarze Strickjacke mit der er Gorbatschow in der Sauna damals weichgekocht hatte locker über die Schulter gelegt und an den Ärmeln auf Brusthöhe verknotet, wacher Blick, gebügelte Multifunktionshose im Freizeit-Stil.

Das Gastgeschenk

Zur Begrüßung nickt er mir wortlos zu, während ich hastig in meinem Jacket krame, wo ich mein Gastgeschenk, ein20er-Packung Hotelbutterstückchen zum Zwischendurch-Schnurpseln, aufbewahrt habe. Sein zunächst erfreuter Blick weicht bald schon einer gewissen Enttäuschung, die er mit den Worten „Die sind ja schon geschmolzen!“ kommuniziert. Erstaunlich klare Aussprache, dieser Mann ist weitaus fitter, als man da draußen, in seinem wiedervereinigten Lande, vermuten würde. Ich entschuldige meinen Fauxpas, bitte untertänigst, „Herr Dr. Kohl!“, er möge diesen Fehler meinerseits doch bitte nicht irgendeinem dahergelaufenen Schmierfinken von Autobiografen verraten und nehme auf seinen Fingerzeig auf dem Couchpolster neben ihm Platz.

Helmut Kohl greift mit einer wendigen Bewegung hinter sich und zieht zwei Playstation-Controller hervor. Die Frage, ob ich nicht Lust hätte, bei ein oder zwei Spielen FIFA Worldcup Soccer sein Sparringspartner zu sein, er könne sich dabei immer so gut fallen lassen und hätte einen Großteil dessen, was er „dem Schwanz“ (sic!) erzählt habe, auch beim Spielen geäußert, muss ich auf Grund einer Sehnenscheidenentzündung leider ablehnen. Der Einheitskanzler ist ehrlich enttäuscht, mümmelt abwesend an einem flugs aus dem kleinen Kühlschrank neben der Armlehne herausgeholten Pfund Butter herum und denkt nach. Diese kurze Pause von 5 Minuten nutze ich als Starjournalist natürlich instinktiv und schamlos mit einer knallharten Frage aus. „Herr Dr. Kohl, wie geht es Ihnen?“

Kohl lässt die Frage auf sich wirken, lässt sich Zeit mit seiner Antwort, man spürt förmlich, wie er sich die Worte zurechtlegt, ehe er dann schließlich mit einem „Gut.“ antwortet. Zweiter Versuch: „Herr Kohl, was sagen Sie zu der ganzen Aufregu …“ „Herr Dr. Kohl, so viel Zeit muss sein.“ Solch ein Fehler darf mir nicht passieren. „Also gut, Herr Dr. Kohl …“ „Ach wissen Sie was, ich hab eine gute Idee. Lassen Sie uns doch ein bisschen Fernseh gucken. Das ist fast genauso wie Playstation.“ Mit einer multifunktionalen Fernbedienung fährt Kohl nun eine riesige Leinwand an der gegenüberliegenden Wand herab und schaltet ein. „Wollen Sie auch mal?“ Helmut Kohl hält mir sein angebissenes Butterstück hin. Um ihn kein zweites Mal zu enttäuschen (sein weit bekanntes Elefantengedächtnis!) willige ich ein und nehme einen Bissen. Gar nicht mal so schlecht. Kann man sich dran gewöhnen.

„Wetten dass …?!“ und Markus Lanz

Schimpfend schaltet sich der Altkanzler durch die Programme, bemängelt den auf ZDF Kultur wiederholten drittletzten Auftritt Markus Lanz bei „Wetten Dass..?“ mit den Worten „Das ist ein ganz großer Verräter am deutschen Fernsehen. Gleichzeitig ist er auch eine Null.“ Schließlich sehe er immer noch großes Potential in der Samstagabendshow, aber das habe sich ja wohl erledigt – beim ZDF käme er seit ein paar Jahren nicht mehr so durch zu den „Hohen Herren“, um da noch einmal den Arsch des Propheten zu retten. „Die letzten Sendungen … sehr viel mehr als der Auftritt von Bryan Adams, was wirklich bleibt, fällt mir nicht ein.“ Allerdings leide er seit seinem schweren Sturz auch an einem immer wieder auftretenden Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, sage man ihm immer wieder, allerdings glaube er das nicht. Dann schaltet er zurück und lästert über Markus Lanz, dieser sei „ein ganz großer Verräter am deutschen Fernsehen“ und gleichzeitig auch eine Null, er sehe immer noch großes Potential in der … und ich nicke und lächle verständnisvoll mit dem Kopf und dem Gesicht.

Die dritten Programme verschmähe er, erzählt er beiläufig, bevor wir bei „Joko und Klaas“ hängen bleiben, denen er bei einer ihrer Ekelfress-Wettkämpfe bescheinigt, sie könnten nicht richtig mit Messer und Gabeln essen und ob denn da niemand sei, der sie beim Sich-Rumlungern zur Ordnung rufen könne. Früher sei alles besser gewesen, dann kam da irgendwie irgendwas über die Plätze wie der heilige Geist, nur in Böse, und habe die Fernsehwelt verändert. „Die Privaten, ich verstehe …“ deute ich vor mich hinmurmelnd, aber Kohl ist schon wieder weiter, dieses Mal bei Vox, wo gerade Kay Ones „Prinzessin gesucht“ startet. Kohl scheint interessiert und, eine echte Überraschung, informiert. „Sehen Sie die da hinten? Die hat einen Penis. Das ist ein Verräter, sag ich Ihnen, ein Verräter. Der arme Kay One. Erst diese Sache mit Bushido und jetzt das.“

In der nächsten Szene findet Kay One das Geheimnis des besagten Mädels heraus und ist baff. Vor der Kamera gibt er im nachfolgenden Einzelgespräch folgendes Statement ab: „Im Lichte der Ereignisse frage ich mich heute, wie ich mich so in ihrem Charakter täuschen konnte. Dabei halte ich mich sonst für den Klügsten, Besten und Allermoralischsten dieser Welt – Bushido, Du Fotze, hörst Du mich! Den Bundeskanzler, den mach ich Dir natürlich auch vor! Wie das mit dem Auftritt im Fernsehgarten. Number One!“

Probleme beim Plattenkauf

Kohl wird nachdenklich, er murmelt vor sich hin, dass er sich frage, ob Kay One „durch Unfähigkeit oder Absicht in dieser Fernsehgeschichte alle Feinde eingeladen hat zu diesem Vernichtungsfeldzug, der ihn dann selbst irgendwann mitreißen werde.“ Er finde den jungen Mann mit Migrationshintergrund ja durchaus sympathisch, besitze auch „zwei, drei Lieder von dem“ auf seinem iPod. Hannelore, nein Heike, spiele ihm hin und wieder ein paar aktuelle Hits darauf. So ein Ding sei schon praktisch, wobei er persönlich Vinyl bevorzuge, aber mit dem großen Sondermodell von Rollstuhl nicht mehr so einfach wie früher die Plattenläden unsicher machen könne. Das Alter sei schon manches Mal eine Last, lässt er fallen, während er sich interessiert anschaut, wie ein paar der Prinzessinen auf dem Bildschirm twerken und dabei ein hereingereichtes 7-Gänge-Menü mit Pfälzer Spezialitäten vertilgt.

Kay One, fährt er fort, sei vielleicht einfach keine Reproduktionsnatur und darin Franz-Josef Strauß nicht unähnlich. Beide besäßen zudem keinen Hals und hinzu käme eine weitere Parallele: Seit der Trennung von Bushido stehe Kay One ja auch auf eigenen Beinen. Das muntere ihm Respekt ab auf eine gewisse Art. Helmut Kohl, Dr. Helmut Kohl dreht den Ton lauter und erfreut sich am, wie er es ausdrückt, „Rhythmus dieser gesprochenen Tanzmusik“, während er eigentlich den Flow meint, der der Single „Keep Calm (Fuck U)“ leider in Gänze abgeht (völlig im Gegenteil zum abgekupferten Original-Hit). Weitere Frageversuche meinerseits laufen ins Leere. Nach seinem letzten Satz ist der Kanzler der Einheit eingeschlafen.

Spendernamen

Ich genehmige mir, ein angebissenes Pfund Butter aus Helmut Kohls Kellerkühlschrank, zu stibitzen, ehe ich Maike leise informiere, dass Ihr Ehemann auf dem Sofa im Hobbykeller eingeschlafen sei. Pragmatisch wie die junge Dame ist, antwortet Sie kurz angebunden nur „… stört er mich nicht mit seinem Geschnarche und dem Schlafproblem.“ Im Vertrauen verrät sie mir, dass Ihr Gatte zum Einschlafen immer Parteienspender zähle. Nur deshalb wisse Sie, wer damals, als sie ihn alle gejagt und geschmäht hätten, wer damals die Gelder, ich wisse schon, was sie meine, aber das nehme nicht nur er mit ins Grab, sondern auch sie. Wissend lächelt sie mir zu und begleitet mich zur Haustüre. Der Bus bringt mich zum Bahnhof.

Das von Florian Cornelius bei Helmut Kohl aus dem Kühlschrank genommene angebissene Pfund Butter kann auf Anfrage im Trophäenschrank des Topjournalisten eingesehen werden. Eine Versteigerung des guten Stücks für einen guten Zweck ist angedacht.