06. Okt. 2014

Gesprächsprotokolle: Kohls Beleidigungen sorgen für Aufregung in der CDU

Spiegel Online, 06.10.2014

Berlin - Helmut Kohl wird am Mittwoch ein Buch vorstellen. Schließlich wird in diesen Wochen gebührend das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls gefeiert. Der Altkanzler, seit einem Sturz vor einigen Jahren schwer gebrechlich, will sich zu diesem Datum auch ganz persönlich einmal mehr in Erinnerung rufen. Und so wird es mit dem 84-Jährigen auf der Frankfurter Buchmesse einen Fototermin rund um seinen Band "Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung" geben. Neues findet sich darin nicht, es ist die Wiederauflage eines bereits vor fünf Jahren erschienenen Erinnerungswerks, eine Zusammenstellung aus wichtigen Passagen des zweiten und dritten Bandes seiner Memoiren.

Das eigentliche Kohl-Buch dieses Herbstes wird ein anderes sein.

Diese Woche erscheinen in einem Band ("Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle") Auszüge aus jenen geheimen Gesprächen, die der frühere WDR-Journalist Heribert Schwan 2001/2002 mit Kohl führte, und die er nun zusammen mit dem Autor Tilman Jens publiziert hat. Der SPIEGEL zitiert exklusiv vorab aus den Tonbandabschriften in seiner aktuellen Ausgabe. Es sind Einschätzungen Kohls über frühere Weggefährten - sie fallen oft scharf, mitunter verletzend aus.

Es sind Urteile, die frühere Weggefährten Kohls sicher mit großem Interesse wahrnehmen (Lesen Sie weitere Äußerungen des Altkanzlers sowie ausführliche Hintergründe der Enthüllung in der kompletten Titelgeschichtehier im aktuellen SPIEGEL). Kohl hat sich die Tonbandprotokolle gerichtlich zurückgeklagt, nachdem er sich mit Schwan vor Jahren überworfen hat. Sie lagern seit März dieses Jahres in seinem Haus in Oggersheim, wo er mit seiner zweiten Frau, Maike Kohl-Richter, lebt.

Volker Rühe will Helmut-Kohl-Stiftung

Die im SPIEGEL publizierten Geheimprotokolle sind vor allem in der Union mit Interesse wahrgenommen worden. Entbrannt ist dadurch einmal mehr die Debatte, was mit ihnen und anderen Materialien Kohls künftig eigentlich geschehen soll. Der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) prescht vor: "Es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo man ernsthaft über die Einrichtung einer Helmut-Kohl-Stiftung nachdenken sollte. Eine solche Stiftung wäre auch der Rolle Kohls als Kanzler der Einheit und großer Europäer angemessen und würdig", sagt Rühe, einstiger CDU-Generalsekretär zu Zeiten des Mauerfalls.

Vorbilder dafür gibt es durchaus. So existiert die "Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung", die 1994 durch ein Gesetz des Bundestags eingerichtet wurde. Sie unterhält ein Haus in Brandts Geburtsort Lübeck und einen großen Schauraum an der Straße Unter den Linden in Berlin. Beide Gebäude sind der Öffentlichkeit zugänglich, präsentieren Artikel, Bilder, Filme und Dokumente aus dem Leben des bedeutenden SPD-Politikers. Darüber hinaus betreibt die Einrichtung - eine von fünf Gedenkstiftungen des Bundes zu wichtigen Politikern - historische Forschung.

Regierungssprecher: Keine Planungen für Kohl-Stiftung

An eine Kohl-Stiftung ist derzeit jedoch nicht gedacht. Am Montag reagierte Regierungssprecher Steffen Seibert auf eine entsprechende Frage in der Bundespressekonferenz in Berlin. "Es gibt keinerlei Planungen für eine Helmut-Kohl-Stiftung", erklärte er. Seibert verwies darauf, dass die fünf vorhandenen Einrichtungen des Bundes "Gedenkstiftungen" seien, die nicht zu Lebzeiten der betreffenden Persönlichkeiten eingerichtet würden. Die Gedenkstiftungen des Bundes würdigen Politiker des 19. und 20. Jahrhunderts, die eine bedeutende Rolle in der deutschen Geschichte gespielt haben - neben Willy Brandt (Kanzler) zählen dazu Konrad Adenauer (erster Bundeskanzler), Theodor Heuss (Bundespräsident), Otto von Bismarck (erster deutscher Reichskanzler) und Friedrich Ebert (Reichspräsident).

Dennoch berührt Rühes Vorstoß eine zentrale Frage: Wohin mit den Kohl-Protokollen und weiteren Akten, Briefen, Notizen aus seiner Zeit? Darüber herrscht in der CDU bis heute keine Einigkeit. Ehemalige Kohl-Getreue wie Bernhard Vogel wollen die Akten und Protokolle am liebsten in der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterbringen. Sie befürchten, Kohls jetzige Ehefrau wolle den Daumen auf das sensible Material halten. Rühe aber ist gegen die Adenauer-Stiftung: "In eine Kohl-Stiftung sollten die Materialien und nicht in den Keller der Adenauer-Stiftung", sagt er SPIEGEL ONLINE. In einer solchen Institution könnten sie dann auch Wissenschaftlern zugänglich gemacht werden, so sein Vorschlag.

Peter Hintze will Kohls Leistung nicht auf Zitate reduzieren lassen

Viele in der Union haben die Zitate am Wochenende gelesen, sie sind Gesprächsstoff. Schließlich sind sie zum Teil schonungslos - gerade das macht sie auch so interessant. Über Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm, der ihn in der Spendenaffäre kritisierte, heißt es bei Kohl, dieser sei ein Verräter, den früheren Unionsfraktionschef Friedrich Merz nennt er "ein politisches Kleinkind".

Auch ein anderer früherer Weggefährte Kohls, einst CDU-Generalsekretär, hat die Zitate aufmerksam gelesen: Peter Hintze. Er wirft Schwan einen groben Vertrauensbruch vor, aber auch Hintze, heute Vizebundestagspräsident, weiß, dass die Tonbandprotokolle für Zeithistoriker und Journalisten eine Fundgrube sind. Kohl konnte vor über zehn Jahren nicht ahnen, dass manche der von ihm verbal Abgestraften noch eine rasante Karriere machen würden - so Angela Merkel, heute Kanzlerin. Damals attestierte er ihr: "Die Merkel hat keine Ahnung." Und auch das steht da: "Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen. Sie lungerte sich bei den Staatsessen herum, sodass ich sie mehrfach zur Ordnung rufen musste." Die damalige Wut hatte offenbar einen Grund: Merkel war zuvor als CDU-Generalsekretärin in der Spendenaffäre auf Distanz zu ihm gegangen.

Hintze, der als CDU-Generalsekretär von 1992 bis 1998 Kohls Kanzlerschaft begleitete, sagt: "Man tut Kohl unrecht, wenn man sein politisches Wirken auf seine verbalen Ausfälle reduziert." Und schließlich gibt er zu bedenken: "Dass manches Urteil Kohls seinerseits auch grob verletzend und total falsch sein konnte, zeigten seine Äußerungen zu Angela Merkel."

Dennoch, für Hintze bleibt Kohl - wie für viele andere in der CDU auch - "in der deutschen Geschichte der Kanzler der deutschen Einheit und ein großer Europäer".

Von Severin Weiland