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Das Oberlandesgericht Köln verbietet die Verwendung von 115 umstrittenen Zitaten des Altkanzlers Kohl. Der unterlegene Ghostwriter Schwan tönt trotzdem: "Es gibt noch viel Stoff, man wird sich wundern."
Heribert Schwan und Tilman Jens wollen nicht auf der Seite der Beklagten direkt vor dem Richterpult sitzen. Die Autoren wählen an diesem Dienstagmorgen in Saal 153 des Oberlandesgerichts Köln lieber einen Platz bei den Zuschauern, in der hintersten Reihe, so, als seien sie nur Beobachter und nicht Betroffene. Ihr Bestseller "Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle", der im Heyne Verlag (Random House Verlagsgruppe) erschienen ist, liegt auf einem grünen Aktenstapel vor den Richtern. Schwan und Jens sind auf die heutige Niederlage innerlich vorbereitet.
Der Vorsitzende Richter Andreas Zingsheim im 15. Zivilsenat hat bereits in einer mündlichen Verhandlung im März durchblicken lassen, dass seine Kammer in dem Berufungsverfahren zu einer ähnlichen Auffassung wie das Landgericht Köln gelangen wird, das zuvor nach einer Klage von Helmut Kohl die Weiterverbreitung drastischer Zitate des Bundeskanzlers a. D. über politische Weggefährten untersagt hatte.
Das OLG geht in seiner Entscheidung noch über die Entscheidung des Landgerichtes hinaus, das nur die Mehrzahl von 115 Zitaten beklagt hatte. Der Vorsitzende Richter Zingsheim nennt ein Dutzend Buchseiten und liest abfällige Kohl-Zitate über die Ex-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Christian Wulff, den verstorbenen Palästinenserchef Jassir Arafat sowie Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer vor. Die Verbreitung dieser Zitate ist künftig ebenfalls untersagt.
Die Veröffentlichung war nach Auffassung des Gerichts unrechtmäßig, weil zwischen Kohl und Schwan eine "stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung" bestanden habe. Damit wird eine Auslieferung neuer Druckexemplare in den Handel ohne entsprechende geschwärzte Passagen endgültig untersagt. Bücher, die sich im Handel befinden, sind nach Auskunft von Verlagsjustiziar Rainer Dresen nicht davon betroffen.
Dieser schauträchtige Prozess, den Helmut Kohl gegen seinen früheren Ghostwriter Heribert Schwan anstrengt, ist aber noch lange nicht zu Ende, denn es handelt sich lediglich um das einstweilige Verfügungsverfahren, landläufig auch Eilverfahren genannt, das nun in letzter Instanz abgeschlossen ist. Das Hauptsacheverfahren wird demnächst vor dem Landgericht Köln beginnen und wohl bis zum Bundesgerichtshof (BGH) führen.
Die Streitfrage, ob Schwan umstrittene Zitate des Altkanzlers ohne dessen Einverständnis verwenden darf, haben die Gerichte im Eilverfahren klar zugunsten Kohls geklärt, doch die Autoren und der Verlag hoffen darauf, dass in der Hauptsache spätestens der BGH zu einer anderen Entscheidung gelangt und ihrer Argumentation folgt.
Das im vergangenen Jahr erschienene Buch hat für großes Aufsehen gesorgt, weil es zahlreiche abfällige Zitate über Spitzenpolitiker enthält. Darin sagt Kohl etwa über Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie habe anfangs nicht mit Messer und Gabel essen können.
Die Zitate stammen aus Gesprächen, die Schwan mit Kohl in den Jahren 2001 und 2002 in Oggersheim geführt hat. Der Ghostwriter hat über 600 Stunden aufgezeichnet. Kohl war im Herbst 2014 zunächst damit gescheitert, die komplette Auslieferung des Buches per einstweilige Verfügung untersagen zu lassen.
Mit der nachfolgenden Klage zumindest gegen 115 Zitate hat der 85-jährige Altkanzler nun Erfolg im Eilverfahren. Sein Anwalt Thomas Hermes betont nach der OLG-Entscheidung, das Gericht habe der Klage in vollem Umfang stattgegeben und alle beanstandeten Zitate verboten. Es handele sich um eine "ganz erhebliche vorsätzliche Persönlichkeitsrechtsverletzung von Herrn Kohl", deshalb kündigt Hermes vor Journalisten erneut an, dass sein Mandant Schadenersatz in siebenstelliger Höhe fordern wolle. Man werde zunächst das Urteil des BGH zur Herausgabe der Tonbänder im Juli abwarten. Im Hauptsacheverfahren wolle man auch die Herausgabe aller Kopien erreichen.
Heribert Schwan gibt sich hingegen nach der OLG-Entscheidung gelassen. "Helmut Kohl würde sagen: absurdes Urteil", betont der 70-jährige Autor vor dem Gerichtssaal. Er erinnert daran, dass er über Jahre mit Kohl gesprochen und dessen Memoiren verfasst habe. Er habe niemals eine Schweigeverpflichtung unterzeichnet; dies werde vom Gericht "herbeikonstruiert". Schwan kündigt an, im Hauptverfahren notfalls bis zum BGH oder gar bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen, und deutet neue Veröffentlichungen an: "Natürlich werde ich nicht schweigen. Glauben Sie vielleicht, ich würde mir das Maul verbieten lassen? Niemals. Es gibt noch so viel Stoff, und man wird sich noch wundern."