Heribert Schwan fühlt sich geadelt. Helmut Kohl hat ihn für "verrückt" erklärt. Das schmeichelt Schwan, der früher einmal der Biograf des Altkanzlers war. Denn Kohl würdige nur jene Menschen seiner Beschimpfungen, die ihm einmal wichtig waren oder noch sind, sagt Schwan. Zweifellos ist für den 84-jährigen Kohl wichtig, was Schwan macht – oder besser nicht macht. Es geht um Kohls geistiges Erbe, einen Blick hinter die Fassade, um Vertrauen und Enttäuschung, Deutungshoheit und den Vorwurf der Wichtigtuerei und um eine Entscheidung, die das Landgericht Köln am Donnerstag verkündet.
Schwan hat am 8. Oktober ein Buch veröffentlicht. In seinem "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" hat er mehr als 100 Zitate von Kohl aus Gesprächen in den Jahren 2001 und 2002 wiedergegeben. Geführt im Keller von Kohls Wohnhaus in Oggersheim. Nach der CDU-Spendenaffäre und dem Suizid seiner Frau Hannelore. In bestimmten Teilen vertraulich, sagt Kohl. Für die Öffentlichkeit bestimmt, meint Schwan. Ein Bestseller. 200.000 Exemplare sind nach Angaben des Heyne-Verlags ausgeliefert. Auch ausländische Verlage klopfen an.
Nun entscheidet das Kölner Landgericht, ob Schwan die Zitate in seinem Buch weiter verwenden darf. Zum Beispiel, dass Kohl gesagt habe: "Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen." Oder, dass der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) ein "Verräter" sei, zudem "hinterfotzig" wie auch der frühere Bundesminister Gerhard Stoltenberg (CDU) und der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler.
Mit einem ersten Versuch, das ganze, 256 Seiten dicke Buch verbieten zu lassen, war Kohl vor Landgericht und Oberlandesgericht in Köln gescheitert. In einem zweiten Anlauf will er nun seinem Ex-Ghostwriter Schwan, dessen Mitautor Tilman Jens und der Random-House-Verlagsgruppe 115 Zitate untersagen.
Damit könnte er Erfolg haben. Denn in der mündlichen Verhandlung ließen die Kölner Richter der 14. Zivilkammer deutlich erkennen, dass Unterlassungsansprüche von Kohl gegen Zitate bestehen könnten. "Es war klar, dass das, was besprochen wurde, nicht nach draußen dringen sollte", meinte der Vorsitzende Richter Martin Koepsel.
Kohls zweite Ehefrau Maike Kohl-Richter sagte dem Magazin "Stern" in der vorigen Woche: "Nach allem, was wir von unseren Anwälten hören, wird das für uns positiv ausfallen. Damit ist das Ganze aber nicht erledigt. Das wird uns leider noch länger beschäftigen."
Sollte Kohl sich durchsetzen, steht für den Verlag das Prozedere schon fest. "Wir würden Berufung einlegen", sagt Justiziar Rainer Dresen. Dass die Entscheidung des Landgerichts – wie immer sie auch ausfällt – in dem Streit nicht das letzte Wort sein wird, das hat auch Kohls Anwalt Thomas Hermes schon vorhergesagt. "Wir sehen uns beim Oberlandesgericht", kommentierte er die unversöhnlichen Positionen.
Weiterer Gerichtsstreit steht sowieso ins Haus: Der Altkanzler fordert von Schwan auch alle Abschriften und Kopien von Tonbändern mit Interviews aus den Jahren 2001 und 2002 zurück. Die Herausgabe der 630 Stunden langen, originalen Tonprotokolle hat er bereits am 1. August vor dem Oberlandesgericht Köln erstritten.
Schwan sagt, an dem Bruch mit dem Altkanzler sei Maike Kohl-Richter schuld. Sie wolle alles beherrschen. "Herr Schwan ist einfach ein Wichtigtuer", sagt die 50-Jährige im "Stern".
"Die Gerichtsverhandlung sowie das 'Stern'-Interview von Kohl und seiner Frau haben die Nachfrage noch befördert", berichtet Dresen, der Justiziar von Random House ist, zu dem der Heyne-Verlag gehört. Die "Kohl-Protokolle" seien fast vollständig an den Buchhandel ausgeliefert. Er sagt, von einem möglichen Verbot wäre der Verkauf in Buchläden nicht betroffen. Nur vom Verlag dürften die Bände dann nicht mehr verbreitet werden.
Dass Maike Kohl-Richter die alleinige Deutungshoheit über den politischen Nachlass ihres Mannes haben wolle, hat der Anwalt des Altkanzlers, Stephan Holthoff-Pförtner, im Oktober in der ARD bestritten. Historiker würden die Verwaltung über das geistige Erbe bekommen. "Es soll eine Stiftung sein", betonte Holthoff-Pförtner. Schwan sagte, Originalbänder seien bereits teilweise gelöscht worden. Dazu Holthoff-Pförtner: "Ich habe von Löschungen gehört, ja."
Im "Stern" sprechen die Kohls nicht nur über Protokolle und Politik, sondern auch über ihre Ehe. Bei einem Sturz vor sechseinhalb Jahren erlitt Kohl ein Schädel-Hirn-Trauma. Er kann nur schwer sprechen, wie Zuhörer am 3. November in Frankfurt/Main wieder erleben konnten, als er sein Buch "Aus Sorge um Europa" vorstellte. Aber er hat Fortschritte gemacht, ist schon wieder besser zu verstehen. An seiner Seite immer Maike Kohl-Richter. "Eine schöne Ehe", sagt er. Und: "Ganz eindeutig. Ich bin glücklich."