Beitrag in der FAZ von David Lindenfeld
Fünf Jahre nach dem Tod Helmut Kohls gibt es noch immer Streit um sein Grab.
Nicht jeder findet das Grab Helmut Kohls in Speyer auf Anhieb. Wer es auf dem Domkapitelfriedhof vermutet, muss sich an dessen Eingang um 180 Grad drehen, dann nach rechts und im Anschluss gleich wieder nach rechts wenden. Dann taucht sie hinter einer Hecke auf: die letzte Ruhestätte des ehemaligen Bundeskanzlers. Sie liegt im angrenzenden Adenauer- park. Dort ruht Kohl in Frieden. In Frieden? Auch fünf Jahre nach dem Tod des „Kanzlers der deutschen Einheit" ist das Grab Gegenstand von Diskussionen.
Seit Kohls Beisetzung ist ein Schild angebracht worden, das Besuchern den Weg weisen soll. Das Grab hat eine helle Sandsteinfassung bekommen. Ansonsten ist nicht viel passiert: Noch immer ragt ein einfaches Holzkreuz aus der Erde, unter der Kohl begraben liegt. Es gibt keinen Grabstein. Das Grab sei schon sehr schlicht, sie habe es sich „bombastischer" vorgestellt, sagt eine Frau, die aus Frankfurt kommt und den Ausflug nach Speyer genutzt hat, um sich das Grab anzusehen. Auf einem rechteckigen Sandsteinblock rechts neben dem Grab soll die Witwe, Maike Kohl-Richter, öfter sitzen, habe ihr eine Dame vorhin erzählt.
Das gelb-rote Vogelhäuschen, das auf der gegenüberliegenden Seite mit der schwarzen Aufschrift „Nuss-BAR" aus der Erde ragt und mit Walnüssen gefüllt ist, finde sie seltsam. Die Schrift darauf ist aus der Distanz kaum zu lesen. Noch immer ist das Grab hüfthoch umzäunt. Schilder weisen auf die Videoüberwachung und den Ort hin, an dem Blumen und Kränze abgelegt werden können. Doch Blumen liegen hier keine an diesem Tag.
Der Zustand ist immer wieder Anlass für Diskussionen. Walter Kohl, neben Peter Kohl einer der beiden Söhne des Altkanzlers, bezeichnet ihn als unwürdig. „Ich empfinde es als beschämend, dass ein Mann, der Mauern einreißen half, nach seinem Tod durch einen Zaun und durch Videoüberwachung isoliert wird" sagt er der F.A.Z. Das Mindeste sei, dass beides entfernt werde.
Auch die Stadt Speyer hätte gern, dass hier endlich Ruhe einkehrt. Sie äußert sich im Gegensatz zum Bistum Speyer und dem Domkapitel öffentlich zur Angelegenheit. Die Gestaltung sei Sache der Witwe, teilt eine Sprecherin der Stadt mit. Sie habe sich 2017 bereit erklärt, die Entwürfe der finalen Grabgestaltung vor der Umsetzung mit der Stadt und dem Bistum Speyer abzustimmen. Dies sei bislang leider nicht geschehen - trotz einer schriftlichen Aufforderung sowie eines persönlichen Telefonats zwischen der Oberbürgermeisterin, Stefanie Seiler (SPD), und Kohl-Richter, das „ergebnislos" " geendet sei. Einen regel- mäßigen Austausch gebe es nicht.
Dennoch wird Kohl-Richter wohl bald Post bekommen. Die Stadt habe in Bezug auf den Zaun und die Videoüberwachung eine Gefährdungsbeurteilung durch das Polizeipräsidium Rheinpfalz erbeten. Uber dessen Ergebnisse werde Kohl-Richter nun informiert. Aus Sicht der Stadt sei es an der Zeit, die Provisorien zurückzubauen nicht zuletzt, weil es in der Vergangenheit keine Fälle von Vandalismus am Grab gab.
Walter Kohl geht das aber nicht weit genug. „Mein Vater liegt im falschen Grab, sagt er. Um das zu verstehen, müsse man nur eine halbe Stunde mit dem Auto fahren: Nicht einmal 30 Kilometer liegen zwischen dem Adenauerpark in Speyer und dem Friedhof im Ludwigshafener Stadtteil Friesenheim, wo Kohls erste Frau Hannelore nach ihrem Suizid ihre letzte Ruhe fand. Unter ihrem Namen auf dem Grabstein ist viel Platz.
Nach ihrem Tod habe der Vater das Grab umgestalten lassen, sagt Walter Kohl. „In den Jahren nach 2001 hat er wiederholt gesagt, dass er ins Familiengrab möchte, denn dort ist seine Heimat, sein Wahlkreis, seine Frau liegt dort, seine Eltern, die ganze Herkunftsfamilie. Deshalb hat er die Grabgestaltung auch bewusst so angelegt." Kann er es sich bis zu seinem Tod am 16. Juni 2017 nicht anders überlegt haben? Das sei denkbar, aber daran habe er große Zweifel, sagt Walter Kohl, der sich eine Umbettung ins Familiengrab wünscht.
Und schon ist man mitten im Familienstreit der Kohls, über den schon so viel gesprochen und geschrieben wurde und in dem noch immer Aussage gegen Aussage steht. „Es gibt ein Leben meines Vaters bis zum Auftauchen von Maike Kohl-Richter mit umfangreichen, jahrzehntelangen Verbindungen", sagt Walter Kohl. „, Und eines danach." Da sind sie wieder unterschwellig, die Vorwürfe, Kohl-Richter habe ihren Mann von seinen Kindern und ehemaligen Weggefährten abgeschirmt.
Kohl-Richters Anwalt teilte der FA.Z. mit, dass seine Mandantin zum Grab ihres Mannes alles gesagt habe, was es aus ihrer Sicht öffentlich zu sagen gebe. Sie wolle aktuell nur ergänzen, „dass es traurig genug ist, dass in Deutschland jetzt auch noch das Grab meines Mannes zum Gegenstand einer wirklich pietätlosen, öffentlichen Debatte gemacht wird« Schon 2018 hatte sich Kohl-Richter in einem Interview mit dem „Stern" gegen die Vorwürfe verteidigt: „Ich habe meinem Mann seine Selbstbestimmtheit nicht genommen. Ich habe ihm nach seinem Unfall geholfen, sie sich zu erhalten." Kohl sei geistig bis zuletzt vollkommen klar gewesen, der Konflikt mit den Söhnen ein alter, den sie nur geerbt habe. Zu lesen war zudem immer wieder, dass es Kohls Wunsch gewesen sein soll, nach seinem Tod in Speyer beerdigt zu werden.
Der Streit ist auch Thema am Grab. Eine ältere Dame sagt, es sei schwer zu begreifen, dass die Söhne kein Mitbestimmungs- recht hätten. Eine andere kann nicht verstehen, warum die Söhne fünf Jahre nach dem Tod noch immer keine Ruhe gäben. Auch zur Gestaltung gibt es ein durchaus vielfältiges Meinungsbild. Manch einer findet es zu schlicht für einen Staatsmann, wie Kohl einer war. Für einen älteren Mann habe gerade das Charme.