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Nach vielen Jahren sehen sich Maike Kohl-Richter und Heribert Schwan, der ehemaliger Ghostwriter von Helmut Kohl, wieder - vor Gericht. Sie ruft: "Mein Mann hat nun mal mich geliebt - und nicht den Herrn Schwan!" Er kontert: "Der war ja nicht schwul!" Und die Richterin blickt, als wolle sie sagen: Was es nicht alles gibt!
Fast wäre die Verhandlung geplatzt, bevor sie überhaupt beginnen konnte: Schlechtes Wetter, Schnee, der Flieger der Anwälte musste umgeleitet werden. So saß Maike Kohl-Richter, 53, mit ihrem Anwalt Thomas Hermes in einem Nebenraum des Kölner Oberlandesgerichts und wartete knapp zwei Stunden lang auf die Ankunft ihrer Gegner.
Drei Rechtsstreite sollten an diesem Tag im Berufungsverfahren beendet werden, am Ende bleibt es nur eine Zwischenrunde im langjährigen Prozess des Ex-Kanzlers Helmut Kohl gegen seinen Ghostwriter Heribert Schwan, 73 und dessen Mitautor Tilman Jens, 63. Beide hatten bekanntlich aus Tonband-Interviews das Buch "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" verfasst. Gegen den Willen des Urhebers und lange nach Schwans Kündigung als Ghostwriter. Helmut Kohl war deshalb im vergangenen Jahr, zwei Monate vor seinem Tod, in erster Instanz eine Geldentschädigung in Höhe von einer Million Euro zugesprochen worden. 116 Zitate im Buch waren untersagt worden, weil sie verfälscht worden oder aus dem Kontext gerissen seien.
Die interessante Frage, die als erstes an diesem nasskalt-schmutzigen Donnerstag geklärt werden musste, war, ob sie ihm zu Recht zugesprochen worden war und wenn ja: "Ist die Geldentschädigung im Erbgang erworben worden?" Heißt für Nicht-Juristen: Bekommt nun Kohls Witwe und Alleinerbin Maike Kohl-Richter diese Summe, oder nicht?
Der Journalist Heribert Schwan hatte in der letzten Reihe des Besucherraumes Platz genommen. Die Vorsitzende Richterin des OLG Margarete Reske war darüber verwundert, aber sie ließ ihn. Aus den vier Metern Akten, die sich vor ihr auf dem Richtertisch stapelten, hatte sie den Eindruck gewonnen, dass dieser Rechtstreit vor allem "von zwei Begriffen geprägt ist: Kränkung und Vertrauensbruch." Da passte es natürlich, dass Heribert Schwan der Witwe vielleicht nicht unbedingt in die Augen gucken wollte - auch so fiel es ihm schwer genug, sich ihre Argumentation anzuhören. Aber dazu später mehr.
"Ich sach ma", hob Margarete Reske kurz vor der Mittagspause an, "wir würden eine Erledigungssituation sehen." Sie schlage eine gütliche Einigung vor, damit die Sache nicht noch zum Bundesgerichtshof kommt. Einen Vergleich vorzuschlagen gehört natürlich immer zur Aufgabe der Richter, egal, wie verfahren die Sache ist. Sie habe "die Neigung", früheren Urteilen des BGH zu folgen. Geldentschädigungen können nicht vererbt werden, so der BGH, "der Genugtuungs-Gedanke verliere nach dem Tod an Bedeutung". Heribert Schwan frohlockte leise in der letzten Reihe. Reske schlägt vor, Schwan solle der Klägerin Kohl-Richter einen Satz der Tonband-Kopien überlassen, das Buch solle nicht noch einmal in einer neuen Auflage erscheinen, und es solle der Klägerin ein "namhafter Betrag" gezahlt werden.
Deren Rechtsanwalt Hermes hält davon nicht allzu viel. Denn er findet die Entscheidung des BGH generell unrichtig, "weil damit die Täter vom Tod des Opfers profitieren". Der BGH, so Hermes müsse seine Auffassung ändern. Das wiederum ruft die Anwälte der Gegenseite auf den Plan: "Sie sind hier auf einem persönlichen Rachefeldzug", wirft Anwalt Roger Mann der Witwe vor. Und Verlags-Justiziar Rainer Dresen assistiert: "Wie lange wollen Sie denn noch klagen? Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, 797.000 Euro hat das alles bisher gekostet, Anwalts- und Prozesskosten. Haben Sie so viel geerbt?"
Da platzt Maike Kohl-Richter zum ersten Mal der Kragen, obwohl sie ihrem Anwalt versprochen hatte, sich eher nicht aus der Reserve locken zu lassen. Aber für sie gehe es nun einmal nicht um Geld, nicht um Millionen, nicht um Prozess-Hanselei, wie manche ihr unterstellten, sondern allein um die Frage der Ehre. " Helmut Kohlwar kein Wirtschaftsunternehmen", sagt sie, "Helmut Kohl war ein Mensch. Es geht um ein Menschenleben. Es geht um ein Lebenswerk." Aber die Sache schien erst einmal klar. Sie würde hier und heute nicht als Siegerin vom Platz gehen.
Dann kam die Pause. Maike Kohl-Richter in schwarzer Pelzkragenjacke verschwand schnell im Anwaltszimmer. Schwan und seine Anwälte zogen in die Gerichtskantine. Rouladen mit Rosenkohl. Immerhin, keine Kohl-Rouladen. Heribert Schwan gab auf dem Flur schnell noch ein Fernsehinterview, in dem er ankündigte, auf jeden Fall einen Satz der Audiodateien behalten zu wollen, und eines Tages seinen Erben zu hinterlassen. Vielleicht schreibe er irgendwann auch noch einmal ein Buch über Helmut Kohl. Falls die Sache mit der Geheimhaltungsvereinbarung endlich vom Tisch sei.
Im zweiten Verfahren ging es um die Berufung der Beklagten, also um Schwan, und den Verlag. Es ging um die verbotenen Zitate. Um "bildnisgleiche Persönlichkeitswiedergabe", um "postmortale Persönlichkeitsrechtsverletzung", darum, ob die Schwester des Autors eine "verlässliche Transkriptionskraft" gewesen sein könnte. Sie hatte damals in aller Eile für vier Euro pro Seite die Bänder abgetippt, auf denen sich mindestens zweihundert Interview-Stunden befanden. Und es ging darum, was Journalisten laut Pressekodex dürfen und was nicht. Muss vertraulich Gesagtes für immer vertraulich bleiben? Was darf man schreiben, was nicht?
"Mein Mann hat nun mal mich geliebt - und nicht den Herrn Schwan!"
Rainer Dresen vom Verlag Random House fühlte sich von den Ausführungen des Gerichts herausgefordert. Er sprach von Pressefreiheit und Erkenntnisgewinn und war plötzlich auch beim "großen Charisma" von Helmut Kohl. "Die Menschen lieben ihren Mann!" warf er der Witwe zu, "auch der Herr Schwan! Er war am Grab. Er hat mir ein Foto geschickt!" Darauf konterte Maike Kohl-Richter: "Viele Menschen haben meinen Mann geliebt, aber er hat selbst entschieden, wen er lieben wollte und wen nicht. Mein Mann hat nun mal mich geliebt - und nicht den Herrn Schwan!"
Da hielt es den nicht auf dem Sitz: "Ich bin ja auch ein Mann", rief Schwan empört aus dem Zuschauerraum, "der war ja nicht schwul!" Richterin Reske blickte, als wolle sie sagen: Was es nicht alles gibt! "Helmut Kohl war großes Kino", konnte Kohls Witwe schnell noch nachschieben, "und nicht kleines Schwan-Karo." Dann legte Anwalt Hermes seine Hand auf ihren Arm, "lass' gut sein", hieß das wohl. Draußen war der Kölner Schnee inzwischen vom Regen weggeschmolzen.
"Manches", sagte die Richterin am Ende dieses turbulenten Tages sanft, "ist zwar streitig, aber nicht erheblich." Die nächste Runde im Prozess Dr. Kohl-Richter/Dr. Schwan findet am 29. Mai statt.