von Naomi Conrad, Berlin
Zwei Journalisten haben ein Buch veröffentlicht, in dem sie aus Gesprächsprotokollen mit Altkanzler Helmut Kohl zitieren. War das fair? Bei der Buchvorstellung mussten sie von ihren Kollegen viel Kritik einstecken.
Von einem riesigen Plakat starrt Helmut Kohl in den fensterlosen Raum, in den die Journalisten und Fotografen drängen. Viel zu düster, moniert eine Kamerafrau und zuckt die Schultern: "Wie soll man da bloß schöne Bilder machen?" Vor ihr füllen sich die Stuhlreihen: Der Heyne-Verlag hat zur Pressekonferenz geladen. Es geht um das Buch "Vermächtnis. Die Kohl-Prokotolle", und man könnte fast meinen, dass der Verlag mit Absicht diesen kellerartigen Raum in einem Hotel in Berlin-Mitte ausgewählt hat: Denn das Buch beruht auf Gesprächsprotokollen der vielen Hundert Stunden, die der Autor Heribert Schwan 2001 und 2002 mit dem Altkanzler verbracht hat. "105 offizielle Termine in Kohls Keller", wie es der Ko-Autor Tilman Jens ausdrückt.
Damals, sagt Schwan, habe er mit Kohl "sozusagen zusammengelebt", um Material für die ausführliche Biografie des Altkanzlers zu sammeln, die er als Ghostwriter schreiben sollte. Dabei entstanden Aufzeichnungen von rund 630 Stunden, stolze 3000 Seiten umfassen die Protokolle nach Angaben des Verlags. Acht Jahre lang arbeitete Schwan mit Kohl zusammen und publizierte dessen Memoiren in drei Bänden. Dann aber, der vierte Band war noch in Arbeit, kam es 2009 zum Eklat: Kohl kündigte die Zusammenarbeit mit Schwan auf. Den Bruch mit Kohl, sagt Schwan, und es klingt fast ein wenig patzig, habe Maike Kohl-Richter ausgelöst, Kohls zweite Ehefrau. Schwan nennt sie nur "die Frau", manchmal "die Neue". Er spricht von einer Retourkutsche: "Sie wollte ja mitreden."
"Keine Schweigepflichterklärung"
Stattdessen sollte Schwan schweigen: Es folgte ein Rechtsstreit um die Aufnahmen, infolge dessen Schwan die Tonbänder abgeben musste - nicht aber die Kopien, die er davon angefertigt hatte. Aus diesen Protokollen zitieren die Autoren in dem Buch, das im Raum für die Presse ausliegt und ziemlich schnell vergriffen ist. Ein Kollege blättert durch das Buch auf der Suche nach den Passagen, die schon im Vorfeld in den Medien zitiert und hier und da als "Abrechnung" mit alten Weggefährten bezeichnet wurden: Das Zitat etwa, in dem Kohl Angela Merkel nachsagt, nicht richtig mit Messer und Gabel umgehen zu können, oder jenes, bei dem er seinen Arbeitsminister Norbert Blüm einen Verräter genannt haben soll.
Ein Journalist der Boulevard-Zeitung Bild lehnt sich vor: Ob Schwan mit seinem Buch nicht den Journalisten-Kodex gebrochen habe, aus vertraulichen Unterhaltungen nicht zu zitieren? Nein, argumentiert der Autor: Es habe niemals eine Absprache gegeben, "dass ich schweigen muss". Hätte es eine Schweigepflichterklärung gegeben, hätte er sie nie unterschrieben. Das Buch, das sagt er bestimmt, stelle also keinen Vertrauensbruch dar: Kohl habe ihm immer wieder versichert, dass er alles später publizieren könne.
Der Altkanzler hätte sich wohl kaum so viele Stunden mit Schwan zusammengesetzt, ohne damit zu rechnen, dass dieser den Inhalt publizieren würde, meint auch Rainer Dresen, der Jurist des Heyne Verlags. Naiv sei Kohl sicherlich nicht gewesen. Aber der Verlag habe sich natürlich im Vorfeld Gedanken gemacht und nur ausgewählte Zitate veröffentlicht, nämlich solche, die einen politischen Aspekt abbildeten, Privates nur, wenn es relevant sei - oder bereits von Kohl veröffentlicht worden sei. "Wir haben sehr vorsichtig zitiert", so der Jurist, "damit wir in einem möglichen Gerichtsprozess keine offene Flanke bieten."
Vertrauensbruch?
Kohls Anwälte, so erklärt er, hätten bisher keine rechtlichen Schritte eingeleitet. Nur ein Schreiben liege vor, in dem die Anwälte erklärten, dass Schwan nicht berechtig sei, über die Aufzeichnungen zu verfügen. Man habe auch, fügt der Mitautor Tilman Jens hinzu, auf vieles verzichtet, "wo wir sagen, das hat er im Affekt gesagt." Denn die Gespräche war Kohl durch den Selbstmord seiner Ehefrau Hannelore und einer Spendenaffäre in der CDU belastet.
Aber der Bild-Journalist gibt nicht auf: "Ganz unter uns", sagt er, Schwan habe doch einen Vertrauensbruch begangen. Dieser macht eine abwertende Handbewegung, zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck Wasser. Ob es denn fair sei, solch ein Buch über einen Mann zu schreiben, der sich nicht verteidigen könne, fragt eine andere Journalistin. Ob es denn ein Verbot gebe, Bücher über Leute zu schreiben, die krank seien, fragt Schwan zurück, um dann seine Frage selbst zu verneinen.
Er sei ein bisschen enttäuscht, sagt ein Journalist nach der Pressekonferenz, dass die eigentliche Frage gar nicht beantwortet worden sei. Nämlich die: "Wie viel Geld muss man eigentlich verdienen, damit man bereit ist, Jahre mit Kohl in einem Keller zu verbringen?" Hinter ihm hängt noch immer das riesige Buchplakat, von dem der Altkanzler in den Raum starrt, der sich langsam leert. Nach ihm, dem Menschen Kohl, so moniert Schwan, der den Lesern in dem Buch in seinen "ganzen Facetten" näher gebracht werden soll, haben sich die Journalisten gar nicht erkundigt.