Beitrag auf rundschau-online.de von Christoph Driessen
Köln - Helmut Kohl lässt selten von sich hören. Schon vor seiner schweren Erkrankung gab der Altkanzler keinen laufenden Kommentar zur aktuellen Weltpolitik, so wie dies viele Jahre lang Helmut Schmidt getan hat. Aber am Donnerstag öffnete sich ein Fenster in die Denk- und Gefühlswelt des 86 Jahre alten CDU-Politikers im Ruhestand. Und dies, obwohl er selbst gar nicht anwesend war im nüchternen Saal 139 des Landgerichts Köln.
Dort läuft seit längerem ein Klageverfahren Kohls gegen die Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens und den Heyne-Verlag aus der Verlagsgruppe Random House. Es geht um deren Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“, ein Bestseller, von dem 200 000 Exemplare verkauft wurden. Was vor allem damit zu tun hatte, dass sich Kohl dort in teils sehr deftiger Weise über andere Größen der Bundes- wie der Weltpolitik auslässt.
Dass Kohl das alles so gesagt hat, wird von ihm im Kern nicht bestritten, allerdings betont er: Das alles sei vertraulich gewesen, nie habe er das veröffentlicht sehen wollen. Die Zitate stammen aus Gesprächen, die er 2001 und 2002 mit Schwan als dem Ghostwriter seiner Memoiren geführt hat. Drei dicke Bände erschienen, dann verkrachten sich die beiden. Schwan legte nach - diesmal allerdings mit einem Buch, das Kohl nicht abgesegnet hatte.
Das Landgericht hat bereits gesagt, dass Verlag und Autoren dafür Entschädigung zahlen müssen. Kohl fordert fünf Millionen Euro. In einem Schriftsatz führten seine Anwalte aus, warum es eine solche Rekordsumme sein muss.
„Nie zuvor in der Geschichte gab es einen vergleichbaren Fall von Missbrauch und Fälschung der Lebenserinnerungen eines Staatsmanns“, schreiben die Anwälte. Das Buch sei „Rufmord“ und beschmutze Kohls „Bild in Gegenwart und Geschichte“. Fazit: „Die Marke „Helmut Kohl“ ist dauerhaft beschädigt.“
Immer wieder meint man, Kohl selbst aus dem Papier sprechen zu hören: „Das Prädikat Kanzler der Einheit und den Titel Ehrenbürger Europas trägt der Kläger (Kohl) nicht aus einer Laune oder aus einem Zufall der Geschichte heraus (...) Ein solches - oberflächliches - Verständnis von Geschichte (...) würde übersehen, dass Geschichte das Ergebnis von Politik und mithin das Ergebnis des Handelns und Gestaltens von Menschen ist.“
Dies war immer der Vorwurf, der Kohl am meisten getroffen hat: dass es nicht seine Staatskunst gewesen sei, die die Einheit 1990 herbeigeführt habe, sondern dass es quasi ein Selbstläufer gewesen sei. Kohl also nicht als derjenige, der den „Mantel der Geschichte“ ergriff - ein Lieblingswort von ihm - sondern der auf einer Welle davongetragen wurde.
Auch aktuelle Entwicklungen werden nebenher kommentiert: Wäre Kohl heute noch Kanzler, hätte der Euro „selbstverständlich eine andere als die seitherige Entwicklung genommen“, heißt es in dem Papier.
Helmut Kohl galt immer als loyal denen gegenüber, die ohne Wenn und Aber zu ihm hielten. Und als sehr nachtragend gegenüber allen anderen. Heribert Schwan ist zurzeit wohl sein Feind Nummer 1. Und er will sicher gern noch erleben, wie dieser vom Gericht ein Rekord-Schmerzensgeld aufgebrummt bekommt. Am 2. März könnte es soweit sein, dann soll die Entscheidung verkündet werden - in erster Instanz. Danach dürfte es noch jahrelang in der Berufung weitergehen.