10. Jun 2024

Schwans Welt: Die Stasi, Helmut Kohl und der FC 

Interview VON HORST STELLMACHER

Köln – Vor einem halben Jahrhundert kam er aus der Provinz nach Köln: Hier startete Heribert Schwan (79) als Journalist und Autor seine Karriere – erst beim Deutschlandfunk, dann beim WDR und schließlich als „Freier“. Er wurde Autor viel beachteter Radio- und TV-Reportagen, Verfasser von historischen und politischen Bestsellern wie jetzt „Heuss weiß es und billigt es“ (Heyne Verlag, 25 Euro). Er wurde mit Preisen ausgezeichnet – und stritt vor Gericht erst mit Helmut Kohl, dann mit dessen Witwe. Schwan ist zum Kölner geworden – er genießt die Kultur, das Arbeiten in der Südstadt und er hat ein großes Herz für den FC.

EXPRESS: 50 Jahre in Köln. Sieht aus, als hätten Sie den Umzug von Saarbrücken hierher nicht bereut... Heribert Schwan: Das stimmt. Köln war und ist für mich eine wunderbare Stadt. Ich kam, weil ich zum Deutschlandfunk berufen worden war. Nach 14 Jahren wechselte ich zum WDR und blieb 20 Jahre bis zu meiner Pensionierung 2009. Obwohl ich dann erst nach Berlin ziehen wollte, weil da die für mich wichtigen politischen Archive sind, bin ich in Köln geblieben und habe das nie bereut.

Wo fühlen Sie sich in Köln am wohlsten? Ich wohne zwar in Rodenkirchen, doch meine Heimat ist die Südstadt. Als ich beim Deutschlandfunk nach den Frühsendungen schon um acht Uhr morgens Feierabend hatte, bin ich mit den Kollegen zum Frühstücken in die Südstadt gekommen, und das hat sich bis heute erhalten. Heutzutage bin ich im Frau Mahér, dem Römer- Café und Café Sur zu finden, immer da, wo ich gerade einen Parkplatz gefunden habe. Da lese ich meine Zeitungen, meine Texte oder Korrektur. Und natürlich bin ich da manches Mal am Abend zu finden.

Wir wissen, dass Sie absoluter FC-Fan sind, Sie sind Gründer und Vorsitzender des „FC Herzblut 2011“, eines der kleinsten FC-Fan- Clubs, der sich regelmäßig im Rodenkirchener „Quetsch“ und im Südstadt-„Cafe Sur“ trifft. Was bewegt Sie derzeit mehr – das Elend des FC oder die Premiere Ihres neuen Buches? Das kann ich kaum vergleichen. Natürlich hat mich die Premiere des Buches nach der langen Zeit, die ich damit verbracht habe, besonders gefreut. Ich war 15 Jahre mit der Recherche beschäftigt, habe es in den letzten beiden Jahren geschrieben und in der Zeit kaum was anderes gemacht.

Sie haben es geschafft, das Buch ist in den Buchhandlungen. Da haben Siemehr Zeit für den FC… Ja, und das ist zurzeit für mich besonders hart, ich bin ja auch FCMitglied „E levve lang“. Dieser langsame Tod des FC! Ich habe bis zum Saison-Schluss geglaubt, dass wir noch alle Chancen haben nicht abzusteigen, wenn sich die Mannschaft aufbäumt und das Letzte aus sich rausholt.

Doch die ist leider ohne Stolz und Würde untergegangen… ...es war eine Beleidigung für jeden Fan, wie sie gespielt hat. Das war ein trauriger, erbärmlicher Schlusspunkt. Das berührt mich immer noch und ich hoffe immer noch, dass Köpfe rollen - auch wenn es nicht mehr danach aussieht. Diese Menschen beim FC haben so viel Arroganz gezeigt, so viel Arroganz habe ich noch nie erlebt. Es fällt mir deswegen besonders schwer, mich auf die 2. Liga einzustellen.

Köln ist nicht nur der FC – sondern auch Karneval, Kölsch und vor allem Kultur. Zufriedenmit dem Angebot? Ja. Köln hat was Besonderes: die Philharmonie, und die ist spitzenmäßig. Meine Frau und ich haben zwei Konzert-Abos und sind sehr glücklich damit. Ein drittes Abo, das für die Oper, haben wir leider aufgeben müssen. Kölner wissen warum: Es ist unerträglich, dass die Oper nicht fertig wird. Und das Ausweichquartier Staatenhaus ist schon von der Verkehrsanbindung her eine Zumutung. Die Hinfahrt mit der KVB von Rodenkirchen aus ist ein großes Problem, und nach dem Stück zurückzukommen, ist noch viel schlimmer.

Mögen Sie auch kölsche Pop- und Rockmusik? Ja, klar. Meine absolute Lieblingsband ist Kozmic Blue, das Herzensprojekt von Maggie und Gerhard Sagemüller. Maggies Stimme und ihr Temperament auf der Bühne – das bebt geradezu. Dieses Beben hat mich fasziniert und fasziniert mich immer noch. Nicht umsonst gilt Maggie als eine der besten Janis- Joplin-Interpretinnen Europas. Ich habe schon oft Kozmic-Blue- Auftritte zu Geburtstagen verschenkt. Aber ich mag auch sehr „Kristallnaach“ von BAP und Brings´ „Halleluja“.

Wie sieht es aus mit den Karnevalsliedern. Welche singen Sie am liebsten? Die Schönsten der Bläck Fööss – „Unsere Stammbaum“ und „En unserem Veedel“.

Und wie war es mit dem flüssigen Kölsch? Ich muss zugeben, dass es mir zuerst nicht so sehr geschmeckt hat – ich war Pils-Trinker. Aber ich habe mich dann ganz schnell dran gewöhnt.

Lassen Sie uns jetzt bitte über Ihr neues Buch „Heuss weiß es und billigt es“ sprechen. In dem geht es um die Ausspähung der Bonner Bundespräsidenten durch die DDR Staatssicherheit – und da spielt Köln indirekt auch eine große Rolle als innerdeutscher Spionage-Dreh und Angelpunkt… Ja, die Spionage des Ministeriums für Staatssicherheit lief in vielfältiger Beziehung über Köln, speziell der Dom und der Hauptbahnhof waren wichtig. Im Dom wurden die belichteten Fotos und Informationen, die aus Bonn kamen, ausgetauscht. Und von gleich nebenan, dem Hauptbahnhof, transportierte der sogenannte Interzonenzug das Spionagematerial nach Ost-Berlin. Wichtig für die DDR-Staatssicherheit war natürlich auch, dass in Köln schon damals das Bundesamt für den Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst saßen.

Sie haben erst ein Buch über Spionage bei den Kanzlern veröffentlicht, jetzt bei den Bundespräsidenten. Wie kam es zu Ihrem Interesse an der „anderen Geschichte“ der beiden deutschen Staaten? Für einen Historiker war es ein Geschenk des Himmels, dass 1990 die mit deutscher Gründlichkeit sauberst geführten Stasi-Spionageakten freigegeben wurden. Plötzlich waren die Akten eines Geheimdienstes der SED-Diktatur zu sehen! Das war für mich ganz wichtig und außergewöhnlich. So habe ich mich immer mehr dafür interessiert, wie Bonn ausspioniert wurde und festgestellt, dass da immer noch vielmehr ist als man bis heute weiß.

Was heißt das? Die Spione waren von Anfang an bemüht, das Leben der Bundeskanzler, Minister und auch der Bundespräsidenten auszuspähen, nicht zuletzt, um die Ergebnisse zu Propagandazwecken zu benutzen.

Ihr Titel-Präsident ist Theodor Heuss, der erste Präsident der Bundesrepublik, ein FDP-Mann, der von 1949 bis 1959 im Amt war und von vielen liebevoll „Papa Heuss“ genannt wurde. Was hatte er mit der DDR-Staatssicherheit zu tun? Ich habe entdeckt, dass die Stasi übersehen hat, dass er vor und während seiner Präsidentenzeit eine Spionagezentrale in der damaligen „Zone“ initiiert, gefördert und finanziert hat. Hätte der DDR-Spionage- Apparat das gewusst, hätte er die Wahl oder Wiederwahl von Heuss sehr gut verhindern können.

Gab es bei den anderen Bundespräsidenten auch solche Lücken, die nicht ausgeforscht wurden? Bei jedem. Heinrich Lübke, der mit von der Stasi gefälschten Dokumenten als „KZ-Baumeister“ gebrandmarkt wurde, was nicht stimmte, war dennoch nicht unschuldig: Er hat seine ganze Kraft dafür eingesetzt, dass die Rüstungsindustrie unterirdisch gelegt wurde und hat die Baracken für die dorthin verfrachteten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter gebaut und ihr Elend und Verrecken mitgekriegt. Darüber hat er sein Leben lang geschwiegen und sein Wissen 1972 mit ins Grab genommen.

Und die anderen? Gustav Heinemann hielten Mielkes Mannen für ein zu vernachlässigendes Spionageziel, obwohl er während des Krieges eine Führungsposition in der Rüstungsindustrie hatte. Die Stasi wusste, dass Karl Carstens und Walter Scheel NSDAP-Mitglieder gewesen waren, schlug aber keinen Profit daraus und stellte sie nicht an den Pranger. Und sie schonte bewusst Richard von Weizsäcker, den 6. Bundespräsidenten. Mit ihm ist sie wie mit einem rohen Ei umgegangen. Das sind alles ganz neue Geschichten – nicht nur für Historiker.

Was hat Sie bei der Arbeit am Buch am meisten überrascht? Es muss offenbar Anweisungen an die Stasi gegeben haben, über die NS-Verstrickungen von Richard von Weizsäckers Vater Ernst von Weizsäcker und über die NSDAP Mitgliedschaft seiner Mutter Marianne nichts zu veröffentlichen. Außerdem wurde zu keiner Zeit Richard von Weizsäckers außergewöhnliche Militärkarriere im Zweiten Weltkrieg erwähnt. Völlig ungewöhnlich im Vergleich mit seinen Vorgängern.

Letzte Frage zu einem für Sie sicher leidigen Thema: Sie liegen seit langem in einem Rechtsstreit, erst mit Helmut Kohl und jetzt mit seiner Witwe. Wie ist da der Stand der Dinge? Da muss ich leider schweigen. Das Oberlandesgericht hat mir verboten, ein Wort zu diesem Streit zu sagen und über die Umstände meiner Arbeit als Kohls Ghostwriter zu sprechen. Ich hoffe aber, dass mir das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Pressefreiheit zurückgibt, und ich dann wieder sagen und schreiben kann, was ich will.


Der Ghostwriter des Altkanzlers
Heribert Schwan wurde in Betzdorf an der Sieg geboren. In seiner Zeit beim WDR verantwortete er u.a. die Reihen Bilderbuch und Kulturweltspiegel. Ein Schwerpunkt seiner Recherchen war die Geschichte des Dritten Reiches. Ausgezeichnet wurde sein Dokumentarfilm „Der SS-Mann. Josef Blösche – Leben und Sterben eines Mörders.“ Schwan ist Auftragsschreiber der dreibändigen Helmut-Kohl-Memoiren (er agierte als Ghostwriter). Schwan publizierte auch Biografien über Richard von Weizsäcker, Johannes Rau und Oskar Lafontaine. Alt-Kanzler Helmut Kohl warf Schwan wegen der Veröffentlichung eines weiteren Buches ( „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“) Vertrauensbruch vor, verklagte ihn und bekam Recht. Schwan wiederum sieht Kohls zweite Ehefrau Maike Kohl- Richter als treibende Kraft hinter dem Zerwürfnis mit Kohl.