09. Mai 2023

Schwur unter Trauzeugen: Kai Diekmann und Altkanzler Kohls letzte Wünsche

Beitrag in der RHEINPFALZ von Ilja Alexander Tüchter

In seiner 544 Seiten starken Autobiografie „Ich war BILD“ geht es auf 66 Seiten nicht nur um Kai Diekmanns besonderes Verhältnis zu Altbundeskanzler Helmut Kohl. Diekmann verteidigt vehement die zweite Ehefrau des Pfälzer Jahrhundertpolitikers, Maike Kohl-Richter. Mit deren Zutun?

„Maike ist das Wichtigste, das ich habe. Sie allein soll bestimmen, was dann ist, auch mit meinem Geschichtsbild. Sie soll auch bestimmen, wie das mit der Beerdigung ist, wo ich beerdigt werde. Ich will nicht ins Familiengrab. Ich will mit Maike sein. Maike soll entscheiden, und was sie sagt, gilt. Ich wünsche mir von dir, dass du darüberwachst.“ – „Natürlich verspreche ich dir das, Helmut.“

Ein Gespräch wie ein Testament – aus dem Herbst 2016. Es sprechen: Altbundeskanzler Helmut Kohl und Kai Diekmann, der von 2001 bis 2015 Chefredakteur der „Bild“-Zeitung gewesen ist. Die beiden waren einander Trauzeugen. Seit Diekmann mit 17 Jahren als Schülerzeitungsredakteur erstmals den CDU-Politiker interviewt hat, sind Jahrzehnte vergangen. Kohl wurde Kanzler der Einheit und Ehrenbürger Europas, Diekmann stieg im Springer-Konzern zum vielleicht mächtigsten Publizisten der Republik auf. Sicher sieht er das so. Schon der Titel von Diekmanns jetzt erschienenen Buch „Ich war BILD“ zeugt von seinem Selbstbewusstsein. Zur Wahrheit gehört, dass „Bild“ auch unter Diekmann schon massiv an Auflage verloren hat. Als Kohls Kanzlerschaft 1998 endet, liegt sie bei 4,71 Millionen. Heute sind es 1,1 Millionen Exemplare, die täglich verkauft werden. Seine Nähe zu Kohl nutzt der Journalist immer wieder für spektakuläre Exklusivnachrichten. Ob Hannelore Kohls schwere Krankheit oder die Inszenierung von ikonischen Fotos mit Kohl 2004 am Brandenburger Tor – „Bild“ profitiert von der besonderen Beziehung. Und umgekehrt nutzt der Politiker das Massenblatt, um seine Sicht der Dinge zu verbreiten. Während der Pfälzer sich von so ziemlich allen verraten fühlt, als die Schwarze-Kassen-Affäre der CDU öffentlich wird, steht „Bild“ ihm bei. In Diekmanns Buch heißt es dazu: „Ein großer Staatsmann, den man mit Füßen tritt.“ Die Spendenaffäre sei die „sein politisches Erbe in den Dreck“ gezogen habe. Als sei die Affäre ein eigenes Subjekt, ein brutales Monster, das hier sein Unwesen zum Schaden Kohls getrieben habe. Wer das liest, fragt sich: Was sagt Kohls Witwe Maike Kohl-Richter dazu? Es ist genau ihre Lesart der Geschichte. Sie breitet sie in ihren Gefechten – juristisch wie publizistisch – immer wieder aus. Hat sie die überaus intimen Details vom Totenbett Helmut Kohls, die Diekmann für sein Buch nutzt, autorisiert? Da heißt es: „Helmut Kohl liegt nun in seinem Sarg. Neben seinem Kopf ein kleiner brauner Teddybär aus Maikes Kindertagen. Maike legt 34 frische rote Rosen in den Sarg: Jede Rose für ein Jahr, das die beiden an Lebensjahren trennte. (...)Wir beten ein letztes Vaterunser. Dann wird der Sarg geschlossen.“ Eine Anfrage der RHEINPFALZ dazu bei Kohl-Richters Freiburger Anwalt Stefan Wieser und an eine E-Mail- Adresse der Witwe bleibt – bis Redaktionsschluss – unbeantwortet. Ein mit dem Buch vertrauter Gewährsmann bestätigt indes: In Diekmanns Autobiografie stehe nichts, das Kohl- Richter „nicht gut findet“. Helmut Kohls Witwe kämpft seit Jahren gegen öffentliche Anwürfe, auch der Kinder des Altkanzlers. Sie stellt sich gegen die vom Bund per Gesetz gegründete Bundeskanzler-Helmut- Kohl-Stiftung, hat eine private „Gegenstiftung“ gegründet. Zum fünften Todestag Kohls im Juni 2022 hat sie appelliert, den „fragwürdigen Umgang in Deutschland mit Helmut Kohl zu hinterfragen“. Sie wirbt dafür, „sachbezogen, inhaltlich, konstruktiv, versöhnlich und im Blick nach vorne“ über ihren Mann zu reden. In solchen Einlassungen und auch in ihren Auftritten bei Gericht und in den Schriftsätzen ihrer Anwälte drängt sich indes der Eindruck auf – nur ihr eigener Blick sei der „sachbezogene“. Dass sich nicht nur die Söhne, sondern auch andere langjährige Weggefährten Kohls zuletzt aus dessen Leben verstoßen fühlten, haben diese immer wieder öffentlich ausgebreitet. Diekmann lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass Maike Kohl-Richter von Kohl aus den allerbesten Gründen als Alleinerbin eingesetzt worden sei. Sie pflegte ihn aufopferungsvoll nach einem Sturz daheim 2008. Er verursachte ein Schädel- Hirn-Trauma. Der Ex-„Bild“-Chef schreibt über die Beziehung Kohls zu seiner zweiten Frau: „Dieses tiefe, intuitive Einvernehmen – da haben sich zwei Wesensverwandte gesucht und gefunden. Maike ist kein Fangirl, das den Kanzler der Einheit anhimmelt, sondern die Partnerin, die Paroli bietet.“ Sie sei „blitzschnell im Kopf“, stehe „mit beiden Beinen im Leben “. Ganz anders Diekmanns Bild der beiden Söhne Kohls. Da heißt es, den Sprösslingen sei „keine nennenswerte eigene Karriere vergönnt“ gewesen. Diekmann weiter: „Es geht denen immer nur ums Geld’, hat Helmut Kohl mehr als einmal traurig zu mir gesagt.“ Sie seien mehr am Erbe als an der Gesundheit des Vaters interessiert gewesen. Walter Kohls Besuch am Totenbett des Altkanzlers 2017 in Ludwigshafen gerät laut „Ich war BILD“ zum unwürdigen Spießrutenlauf. Er will allein mit dem Vater sein. Die Witwe weigert sich, bittet den Stiefsohn am Ende, er möge nun gehen. Der Kohl-Sohn erwägt juristische Schritte. Dem „Stern“ sagte er: „Der Text beinhaltet an verschiedenen Stellen falsche Tatsachenbehauptungen und muss insgesamt als ehrabschneidend betrachtet werden.“ Der Justiziar der Verlagsgruppe Penguin Random House, Rainer Dresen, teilt dazu mit: Alle Inhalte seien „sorgfältig recherchiert und juristisch geprüft“ worden. Den angekündigten rechtlichen Schritten sehe man „mit großer Gelassenheit entgegen“.