09. Dez 2016

Signal bis nach Japan!

Beitrag in der Frankfurter Allgemeine Zeitung von Reiner Burger

Helmut Kohls Argumente im Ghostwriter-Streit.

DÜSSELDORF, 8. Dezember. Das Landgericht Köln macht es sich wirklich nicht leicht mit diesem historischen Verfahren: Seit Jahren schon zieht sich der Rechtsstreit zwischen Helmut Kohl und dessen ehemaligem Ghostwriter Heribert Schwan hin. Viele schöne Siege konnte Kohl gegen Schwan erringen. Ungeklärt ist aber die Schadenersatzfrage. Eigentlichwollte das Landgericht im Juni festlegen, wie viel Entschädigung dem früheren Kanzler für das von Schwan eigenmächtig veröffentlichte Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ zusteht. Doch das Gericht verschob die Verkündung zunächst auf August und schließlich auf den 8. Dezember. Aber auch am Donnerstag will Richter Martin Koepsel noch immer nicht mitteilen, was er für angemessen hält. „Umein Schmerzensgeld von fünf Millionen Euro zu erklagen, da muss man richtig gute Argumente haben“, sagt Koepsel – und verschiebt die Verkündung auf den 2. März 2017.

Fünf Millionen Euro, das wäre in Deutschland das bei weitem höchste jemals zugesprochene Schmerzensgeld für Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Der frühere Kanzler und seine Anwälte sind sich darüber im Klaren. Ihre Klage, die sie nicht einfach als Klage, sondern ausdrücklich als „Superklage“ verstanden wissen wollen, begründen sie im Kern damit, dass die herausragende Person der Zeitgeschichte Helmut Kohl eine „Superpersönlichkeitsrechtsverletzung“ erlitten habe. „Es gibt keinen vergleichbaren Fall, in dem ein langgedienter Staatsmann in politischen Spitzenämtern eines Landes nach seinem Ausscheiden in gleicher Weise derart hintergangen und durch Rechts- und Vertrauensbruch derart öffentlich bloßgestellt, vorgeführt und verspottet wurde“, heißt es in der Klageschrift.

Der Journalist Heribert Schwan und der ehemalige Kanzler hatten lange reibungslos zusammengearbeitet. In den Jahren 2001 und 2002 hatte Schwan Interviews in einer Gesamtlänge von mehr als 600 Stunden mit Kohl aufgezeichnet. Neben Unmengen von Akten und vertraulichen Dokumenten sollten die Mitschnitte als Grundlage für Kohls Memoiren dienen. Drei Bände verfasste Schwan zur vollsten Zufriedenheit Kohls. Vor Abschluss der Arbeiten am vierten Band kam es aber zum Zerwürfnis. Im Herbst 2014 veröffentlichten Schwan und sein Ko-Autor Tilman Jens im Heyne-Verlag das „Vermächtnis“- Buch. Ohne Zustimmung Kohls zitieren sie darin aus den Interviews, in denen sich der frühere Kanzler immer wieder auch abfällig über andere Politiker aus Deutschland und anderen Staaten geäußert hatte. Kurz darauf untersagte das Landgericht die Weiterverbreitung der Zitate. Kohls Privat und Persönlichkeitssphäre seien durch den „regelwidrigen Verstoß gegen die Vertraulichkeit“ verletzt worden. Schwan sei durch seinen Ghostwriter- Vertrag mit Kohl zur Vertraulichkeit verpflichtet gewesen, sagte Richter Koepsel damals. „Die letzte Entscheidung, was und wie geschrieben werden sollte, sollte bei Kohl liegen.“

Am Donnerstag bekräftigte der Richter noch einmal, dass Kohl eine Entschädigung zusteht. Doch wie viel ist angemessen? Bisher sind jene 635 000 Euro, die der Wettermoderator Jörg Kachelmann vor einem Jahr in seinem Rechtsstreit gegen die „Bild“ Zeitung zugesprochen bekam, der Rekordwert. Obwohl Kachelmann seinerzeit durch die Berichterstattung des Boulevardblattes eine Vielzahl von Persönlichkeitsverletzungen erlitten hatte (darunter auch neun Verletzungen seiner Geheim- und Intimsphäre), reduzierte das Oberlandesgericht Köln die Schadenersatzsumme Mitte Juli auf 395 000 Euro. Daran erinnern Kohls Prozessgegner am Donnerstag. Im Buch „Vermächtnis“ seien dagegen unter Beachtung und Abwägung von Kohls Persönlichkeitsrechten mit der grundgesetzlich garantierten Presse- und Meinungsfreiheit ausschließlich wahre Zitate des früheren Kanzlers veröffentlicht worden. Bei den von Kohl geforderten fünf Millionen handle es sich um einen „drastisch überhöhten Betrag“, sagt Heyne-Justitiar Rainer Dresen.

Kohls Anwalt Thomas Hermes bezeichnet die Verwendung der Zitate abermals als „historisch einzigartigen, unverfrorenen, rücksichtslosen Verrat“. In einem weiteren Schriftsatz haben die Anwälte des früheren Kanzlers noch einmal ihre Darlegungen nachgeschärft. Bei einer ohnehin schon unter dem Rubrum „Super“ laufenden Klage ist das kein leichtes Unterfangen. „Mindestens fünf Millionen Euro“ seien deshalb angemessen, weil der Schaden, den das „Machwerk“ an Kohl „und seinem Bild in Gegenwart und Geschichte sowie für Politik und die weltweite Geschichtsschreibung angerichtet hat“, beispiellos sei. Auch mit supranationalen Überlegungen argumentieren die Kohl Anwälte in ihrem jüngsten Schriftsatz: Die Höhe der Summe müsse ein „entsprechend klares Signal der Genugtuung und der Entschädigung für den Kläger und sein Lebenswerk gleichermaßen für das Inland und Ausland sein – von Deutschland über Europa und die Vereinigten Staaten bis hin nach Russland, China und Japan“.