15. Dez 2014

Unterwegs mit Kohl im Ohr

Ein Nutzerbeitrag von Calvani auf www.freitag.de

 

Eines schon mal voraus. Bücher, über die man hinterher schreiben will, liegen besser gedruckt vor. Man kann sich Seiten aufschreiben und kleine Auszüge machen. Ein Hörbuch ist dafür nicht effektiv.

Tagebucheintrag, Sonntag, 16. November - Wie immer morgens ein bisschen gegangen. Im Ohr die Hörbuchfassung von „Das Vermächtnis- Die Kohl-Protokolle“ von Heribert Schwan unter Mitwirkung von Tilman Jens. Ich dachte, nachdem ich neuerdings bei Hörbüchern immer einschlafe, dass es im Gehen vielleicht besser ist.

Die Stimme von Bodo Primus, dem Vorleser, trieb mich träge durch des Parkes Wege. Noch ein Problem: Man ist geteilt beim Gehen und Hören. Die Frische der Natur welkt unter der Monotonie des Textes und die Aufmerksamkeit wird immer wieder durch den  Blick in die lebendige Umgebung unterbrochen.

Heribert Schwan – der Hüter des Tonbandschatzes, ghostwriter der Kohl-Biographien, von denen nun die Fortsetzungen fehlen – „kann nicht“ mit Maike Richter Kohl, die ihren Gatten eifersüchtig bewacht. Darüber wird zu Beginn längs und quer und breit meditiert, die böse Zweitgattin ordentlich hergenommen und das Publikum zum Zeugen all des Ungemaches gemacht, das Schwan nun dadurch hat. Der ganze Ärger darum ist nicht mein Thema. Sowas kann man in einem Buch fix durchblättern oder durchlesen, aber bei einem Hörbuch geht das einfach nicht.

Schwans Faszination angesichts der Möglichkeit, so nahe an einen „Mann der Geschichte“ (oder Gechichte?) heranzukommen, ist zu verstehen, aber manchmal gerät er in die Gefahr, plötzlich einer derjenigen zu sein, die das System Kohl bevölkern.

Er erkennt das selbst, ertappt sich dabei, wie er  auf einmal Positionen seines Gesprächspartners einnimmt, obwohl er sich immer linksliberal verstanden hat. Vielleicht ist das aber nur ein Indiz dafür, wie wenig die Parteien voneinander unterscheidet.

Herr Puntila und sein Knecht Matti

Mir fiel beim Hören Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ ein. So nimmt sich das hin und wieder aus, wenn Kohl den sehr erfahrenenen und erfolgreichen Autor Heribert Schwan plötzlich „Volksschriftsteller“ nennt, oder über seine Glatze spöttelt. Dann – wenige Tage nach dem Tod von Hannelore Kohl – telefoniert er nach ihm, um weiter mit ihm zu „arbeiten“, aber eigentlich um sich auszuweinen. Die Ehe Helmut Kohls und Hannelore Kohls Leben an der Seite dieses machtpolitisch hochsensiblen Mannes mit dem Gemüt eines Nashorns bekommt breiten Raum im Buch. Es kommt da nichts Geheimnisvolles bei raus. Die Ehe war nicht mehr gut. Kohl hatte andere Beziehungen.

Zwischen übersensibel und poltrig ist Kohl dann, wenn er seine politischen Zeitgenossen beurteilt. Als die Gespräche im Oggersheimer Keller aufgezeichnet wurden, stand der Ex-Kanzler noch tief unter dem Eindruck des CDU-Spenden-Skandals und der völligen Isolierung einschließlich des „Vatermordes“ durch Angela Merkel. Deshalb kommen die eigenen Leute in seinem Urteil sehr schlecht weg. Dass Merkel keine Tischsitten hatte, ist bereits kolportiert, dass Merz ein politisches Kleinkind ist, dass die etwas edleren CDU-Granden wie Richard von Weizsäcker und Walter Leisler Kiep dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Kohl nicht sehr angenehm waren, ist auch inzwischen in der Welt. Eigentlich kommt niemand gut weg. Die ganze „Putschgemeinde“ aus dem Jahr 1989 natürlich nicht. Norbert Blüm ein Verräter, Lothar Späth ein Schaumschläger, Süssmuth auch eine Null, Heiner Geißler ist alles zusammen. Er war umgeben von Feiglingen, Fälschlingen, Charakterlosen, Hinterfotzigen und Faulpelzen.

Besser geht Kohl mit dem politischen Gegner um. Oskar Lafontaine ist für ihn ein politisch origineller Kopf, sogar Rudolf Scharping mit seiner Swimmingpool-PR-Pleite tut ihm fast leid. Gregor Gysi nennt er ein intelligentes Säckel (was immer das sein mag).

Hellseherisches Urteil über Gerhard Schröder

Nur bei Gerhard Schröder macht er eine Ausnahme. Über den urteilt er fast hellseherisch: Der ist kalt wie ein Fisch, meint er und irgendwann macht der das ganz große Geld.

Wolfgang Thierse ist ihm zutiefst zuwider – mit seinem „Volkshochschulhirn“, wie überhaupt diese ganze DDR-Bürgerbewegung nicht so sein Ding ist. Darüber wurde ja hinlänglich  geschrieben. Die Deutsche Einheit geht auf ihn und Gorbatschow zurück. Punkt. „Gorbatschow ging über die Bücher, sah, dass er im Arsch des Propheten“ war und der Rest ist dann ...Gechichte.

So geht das durch die Zeiten – in über sieben Stunden. Es werden , wie es scheint viel Zeilen geschunden in dem Werk, im Hörbuchfall Minuten verschenkt.

Nun gut, nun gut - wie ist er denn nun, dieser Pfälzer? Erfährt man mehr über ihn? Ich weiß nicht. Er kommt in dem Buche genau so daher, wie er sonst auch präsentiert wurde  – wenn es ein bisschen privat werden sollte – heimatverbunden, geerdet, sinnenfroh, ein Patriarch, der den „Laden zusammenhielt“, der sich CDU nennt. Und der sofort zur Sau wird, wenn jemand ihm an die Karre will. Der nichts vergisst und irgendwann auch heimzahlt.

Dass Kohl viel aß, wer weiß das nicht. Was an seinem Tische serviert wurde, weiß man auch, dass er ziemlich robust war zu Zeiten, auch bekannt. Aber er ist eben ein Mann der alten Bundesrepublik.

Westalgie und Sehnsucht nach dem „langen Eugen“?

Jakob Augstein hat im Spiegel über das Buch geschrieben.

„Es schimmert viel Respekt vor einem großen Mann durch und auch eine gewisse Westalgie in der Erinnerung an eine überschaubare Bundesrepublik.“.

Bei seiner Rezension schimmert auch der Wunsch durch, es gäbe für die gegenwärtigen weniger durchschaubaren Zeiten eine andere Bundeskanzlerin oder doch besser wieder einen Kanzler? Naja, bitte. Vielleicht wollen sie alle nochmal Kohl, nochmal zurück in die Bonner Zweckbauten in die Bonner Republik mit Bundestag und „langem Eugen“, Adenauer-Haus und Kanzlerbungalow. Angesichts der PR-gestützten Demagogie der Gegenwart – wächst die Sehnsucht nach den so authentischen Demagogen der Vergangenheit. Ist es der Anflug einer Sehnsucht nach den echten Kerlen und ihren viel vertrauteren Intrigen, Hauereien und Stechereien? Ist es das, was heute so fehlt, wenn von Mehltau geredet wird? Galt die Kohlzeit nicht auch als „mehlbetaut“?.

Kohls politische Strategie war bekannt: Soviel Leute wie möglich einbinden in sein System und abhängig machen. Aber sonst: Was heute Angela Merkel, der Kohl-Mörderin, vorgeworfen wird, das war auch ihm eigen. Auch er hat erstmal geguckt wohin die Kugel rollt, vielleicht konnte er männlich-kraftvoll besser ein Machtwort sprechen, das ja, aber da war auch schon zuvor viel gekakelt worden. Auch er wusste, was „nicht durchsetzbar“ ist und was doch. Sein Ziel war Europa, das wissen auch alle. Aber sonst – er ging nach dem, was mehrheitsfähig war, was sonst.

Ein politisches Tratschbuch

Kohl ist eine triviale Natur, ein eitler Mann, ein momentschlauer Machtpolitiker mit hin und wieder auch strategischen „Knips“, so konnte er halt die Gunst der Stunde am Ende in politische Münze wandeln, um nicht immer den „Mantel der Geschichte“ zu bemühen.

Schwans Buch ist ein politisches Tratschbuch. Es wäre nie erschienen, wenn er weiter mit Kohl gearbeitet, dessen Biographie beendet hätte. So demonstriert die ungeschönte Veröffentlichdung der Protokolle – aber auch das kann ja wieder nur eine Auswahl sein - dass Machtverwaltung eben Verwaltung ist. Die Leute, die sich dem widmen sind allesamt ziemlich robust. Wenn sie es nicht wären, gingen sie wahrscheinlich ein in diesem Betrieb.

Kohl hat aber auch eine mitfühlende Seite. Zur Zeit der Interviews las er u. a. auch ein Buch, über das er mit Bewegung sprach. Es ging um Maxie Wander, die Österreicherin, die in der DDR lebte, sich kritisch mir diesem Land auseinandersetzte, ein Kind durch ein tragisches Unglück verlor und selbst an Krebs starb. Eine Buch über sie Das Leben - dieser Augenblick von Sabine Zurmühl war zu der Zeit gerade erschienen. Das ging ihm nach und deshalb bin ich ein bisschen nachsichtig.

Resümee: Soll man nun mit Lohenghrin sagen: „Nun sei bedankt mein lieber Schwan?“

Oder dem Kanzler den Ausruf in den Mund legen: „Nie sollst Du mich befragen“. Große Oper ist das Buch aber nicht.