Beitrag auf faz.net von Reiner Burger
Der Rechtsstreit um Helmut Kohls mündliches Vermächtnis geht mit einer Zeugenaussage seines Sohnes Peter in die nächste Runde. Seit Jahren geht die Witwe des Altkanzlers gegen die Veröffentlichung seiner Memoiren vor. Warum?
So gut das eben geht, hat es sich Peter Kohl auf einer der Wartebänke im weitläufigen Kölner Landgericht gemütlich gemacht, um noch auf Englisch ein geschäftliches Gespräch am Telefon zu führen. Aus der Schweiz, seiner Wahlheimat, ist der 53 Jahre alte Unternehmer in einer sehr privaten Angelegenheit angereist, die gleichwohl auch von einigem öffentlichen Interesse ist. Am Mittwochmorgen soll der jüngere der beiden Söhne Helmut Kohls in einem Rechtsstreit als Zeuge aussagen, der sich in verschiedenen Ausprägungen schon seit Jahren hinzieht.
Im Kern geht es dabei um die mittlerweile schon legendären Tonbandaufnahmen mit dem mündlichen Vermächtnis Kohls. Am Mittwoch erinnert sich Peter Kohl im Zeugenstand, dass er ein- oder zweimal dabei war, als Kohl sich von seinem „Ghostwriter“ Heribert Schwan interviewen ließ. „Das hatte fast schon den Charakter einer psychologischen Sitzung, mein Vater kehrte sein Innerstes nach außen.“ Über diese maximale Offenheit sei er alarmiert gewesen. „Aus meiner Zeit als Investmentbanker weiß ich, wie wichtig Vertraulichkeitsklauseln sind“, sagt Kohl. Deshalb habe er seinen Vater und später auch dessen Anwalt dazu bringen wollen, eine solche entsprechende Abmachung mit Schwan zu schließen. Er habe auch darauf hingewiesen, welch erhebliche Sprengkraft der Mangel berge, eines Tages sogar zu einem sehr teuren Prozess führen könne. So ist es ja auch gekommen. Doch sein Vater habe damals unwirsch abgelehnt. Im politischen Betrieb seien Vertraulichkeitsklauseln das Papier nicht wert, auf dem sie stünden. Zwei Reihen hinter Peter Kohl sitzt derweil Heribert Schwan und nickt zufrieden.
In bestem Einvernehmen hatten Kohl und Schwan viele Jahre lang zusammengearbeitet. Schwan hatte Aktenberge durchforstet und in den Jahren 2001 und 2002 ausdauernd Gespräche mit Kohl im Keller von dessen Bungalow in Oggersheim aufgezeichnet. Das mündliche Vermächtnis des Kanzlers umfasst mehr als 600 Stunden. Auf dieser breiten Materialgrundlage verfasste Schwan das sogenannte Tagebuch Kohls und die ersten drei Bände der Kohl-Memoiren. Mitten in der Arbeit zum vierten Band kam es 2009 zum Zerwürfnis; Kohls zweite Ehefrau, Maike Kohl-Richter, soll dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. 2014 veröffentlichte der tief gekränkte Schwan zusammen mit einem Ko-Autor auf eigene Faust das Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“. Es besteht im Wesentlichen aus deftigen Kohl-Zitaten, die allesamt unautorisiert sind. In rascher Folge erzielte der frühere Bundeskanzler viele schöne juristische Siege gegen Schwan und dessen Verlag. Die Tonbandaufnahmen hätten allein als Grundlage für die unter Kohls Namen veröffentlichten Memoiren gedient, entschieden die Gerichte. Kohls Privat- und Persönlichkeitssphäre seien durch den „regelwidrigen Verstoß gegen die Vertraulichkeit“ verletzt worden. Schwan sei vertraglich zur Vertraulichkeit verpflichtet worden.
Im April 2017 verurteilte das Landgericht Köln Schwan, seinen Ko-Autor und den Verlag Random House zu einem Rekordschadenersatz von einer Million Euro. Beide Seiten, also auch Kohl, legten Berufung ein. Deshalb war das Urteil noch nicht rechtskräftig, als der frühere Kanzler im Juni 2017 starb. Beinahe auf den Tag vor einem Jahr entschied dann das Oberlandesgericht, dass Kohls Witwe keinen Anspruch auf das Geld hat, da der Anspruch auf Schmerzensgeld nicht vererbbar sei. Die Sache liegt derzeit beim Bundesgerichtshof (BGH).
Bessere Aussichten dürfte Kohl-Richter mit einer weiteren Klage haben, die sie Ende 2017 erhob. Darin verlangt sie die Auskehrung der Gewinne, die Schwan, sein Ko-Autor und Random House mit ihrem Buch gemacht haben. Um diese Ansprüche, die – so lässt es die bisherige Rechtsprechung vermuten – vererbbar sind, geht es im aktuellen Verfahren. Entscheidend ist auch dabei unter anderem, ob Helmut Kohl damit einverstanden war, dass die Tonbandaufnahmen eines Tages für Veröffentlichungen verwendet werden. Stand für Kohl womöglich sogar fest, „dass Historiker und Journalisten freien Zugang zu dem Material erhalten und dieses ohne inhaltliche Beschränkung verwerten sollten“, wie es im Beweisbeschluss heißt? „Oder war die Geheimhaltung ein klarer Konsens aller bei den Vertragsverhandlungen beteiligten Personen?“
Das Thema Geheimhaltung sei jedenfalls nicht geklärt gewesen, sagt Peter Kohl. Obwohl man dazu mehrfach die Gelegenheit gehabt habe: bei der Abfassung der Verträge, in denen es lediglich heißt, „die Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen“ Kohl und Schwan „werden diese direkt besprechen“, als er versucht habe zu intervenieren oder dann 2009, als sich Helmut Kohl auf Betreiben von Maike Kohl-Richter von „Ghostwriter“ Schwan getrennt habe. Richtig in Rage kommt Peter Kohl nun. Seiner Stiefmutter gehe es darum, „die Deutungshoheit über das politische Erbe von Helmut Kohl zu erlangen und auf Ewigkeiten zu besetzen“. In keiner Weise sei sie für diese Aufgabe qualifiziert. „Sie ist keine Historikerin, sie war 50 Jahre nicht dabei. Sie hat keine Ahnung.“ Dass es keine Vertraulichkeitsklausel gebe, sei Kohl-Richter bekannt gewesen. „Ich glaube, sie hat es darauf angelegt, durch das Führen von Prozessen Geld zu verdienen.“