Beitrag in der Rheinpfalz von Ilja Alexander Tüchter
Es geht um Ehre und Ehrabschneidung. Es geht um das Geschichtsbild eines großen Staatsmannes. Und es geht auch um Geld am Montagmorgen am Bundesgerichtshof in Karlsruhe: mindestens um eine, vielleicht sogar um fünf Millionen Euro. Aber noch immer ist der Streit um Zitate des Altkanzlers nicht vorbei.
Fünf Millionen Euro, plus Zinsen, so viel will Maike Kohl-Richter erstreiten. Bezahlen sollen Menschen, die aus ihrer Sicht ihrem 2017 verstorbenen Mann, Altbundeskanzler Helmut Kohl, geschadet haben. Die sein Bild als Staatsmann beschmutzt und die dabei einen Reibach gemacht hätten.
Seit nunmehr sieben Jahren beschäftigen sich die Gerichte mit dem Fall Kohl gegen Heribert Schwan. Genauer: Kohl gegen den Kölner Journalisten Schwan, gegen dessen 2020 verstorbenen Kollaborator Tilman Jens und gegen deren beider Verlag, die Penguin Random House Gruppe, ein Unternehmen des Medienkonzerns Bertelsmann. Zu dem zählt auch der Heyne-Verlag. In diesem erschien 2014 ein Buch, das der Altkanzler verhindern wollte und das sich dann zehntausendfach verkaufte: „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“.
Schwan hat einmal sein Ansinnen so beschrieben: Helmut Kohl authentisch zu zeigen, als jemanden, „der direkt, derb, streitlustig, klug, gelegentlich zotig und ungerecht mit den Seinen ins Gericht“ gegangen sei. Da geht es um Kohls Einschätzungen über Weggefährten – Verbündete wie Feinde. Um Heiner Geißler, zum Beispiel, Bill Clinton oder Jassir Arafat. Und auch um Angela Merkel.
Schwans Erzählung fußt zum Teil auf Interviews, die er 2001 und 2002 im Bungalow des Altbundeskanzlers in dessen Auftrag führte – als dessen Ghostwriter für Kohls offizielle Autobiografie. Drei von vier Bänden sind erschienen, zum vierten kam es nicht mehr. Von 2009 an war das Tischtuch zwischen dem dann 2017 gestorbenen Kohl und dem heute 76-jährigen Journalisten zerschnitten.
Dass Schwan seine Arbeit an der Kohl-Biografie für ein eigenes Buch nutzte, sieht der von der Pressefreiheit gedeckt. Quer durch die Instanzen aber wurde bisher festgestellt, dass Schwan zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen sei. Vom Kölner Landgericht über das Oberlandesgericht der Domstadt bis zum Bundesgerichtshof ging das – und nun sitzt man also in Saal E101 des BGH an der Karlsruher Herrenstraße. Der Vorsitzende Richter des VI. Zivilsenats, Stephan Seiters, legt die Messlatte auf: „das fortwirkende Lebensbild“ des Altkanzlers dürfe „nicht grob entstellt werden“.
Weder Schwan noch die Witwe des Altkanzlers sind persönlich erschienen. Im Verhandlungssaal schaut etwa ein Dutzend Prozessbesucher zu, wie sich die beiden Parteien über ihre Anwälte duellieren. Aber zuerst hat der Vorsitzende Richter das Wort, erläutert, wie der fünfköpfige Senat in den karmesinroten Roben einschätzt, was da an Urteilen der Vorinstanzen und Schriftsätzen der Parteien zusammengekommen ist.
Was indes noch kein Urteil darstellt – das fällt an diesem Tag nicht. Aber Seiters’ Ausführungen geben reichlich Anlass zu mutmaßen, wie es denn ausgehen könnte in den Revisionsverfahren mit den Aktenzeichen VI ZR 248/18 und VI ZR 258/18. Da sind also zum einen „Fehlzitate“ – Wiedergaben von Worten des Altkanzlers, die so nicht gefallen seien. Und manche Zitate – es ging um 116 im Vorverfahren – seien „eher keine Fehlzitate“, befindet der Vorsitzende Richter. Und überhaupt: Ein Recht, das jemanden „postmortal“, also nach dem Tod, „vor der Verwendung korrekter Zitate schützt“, das gebe es nicht. Eine „grobe Entstellung“ des Bildes des Staatsmanns Kohl erkenne das Gericht in Schwans Buch „eher nicht“.
Und dann ist da die bisherige Rechtsprechung zu der Frage, ob Maike Kohl-Richter als Alleinerbin einen Anspruch auf Schadenersatz hat, welcher dem Altkanzler kurz vor dessen Tod im April 2017 von der Kölner Vorinstanz zugesprochen wurde: zwar nicht die fünf Millionen, die Kohl wollte, aber doch eine Million – so viel wie zuvor noch nie in Deutschland bei einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Für den VI. Senat ist die Rechtslage eindeutig: Dieser Anspruch ist erloschen mit dem Tod des Altkanzlers und nicht vererbbar.
Für Maike Kohl-Richter ergreift nun Professor Matthias Siegmann das Wort. Er wehrt sich gegen den Auftrag, den der Vorsitzende Richter ihm in seinem „Vorwort“ eben erteilt hat: nämlich darzulegen, was an der bisherigen Rechtslage falsch sei. „Richtig und falsch“, das gebe es hier doch nicht, betont Siegmann. Der Jurist hebt vor allem auf den Umstand ab, dass die Beklagten zu Kohls Tod im Zahlungsverzug gewesen seien. Und ein Verzugsschadenersatz sei vererblich. Auch fragt er, warum ein Toter mit Blick auf die Genugtuung durch Schadenersatz anders zu sehen sei als beispielsweise ein Komapatient oder ein einjähriges Kind, die ja auch nicht nachvollziehen könnten, wie ihnen geschehen ist. Das „Bild Helmut Kohls“, einer Person, die bis heute in aller Munde sei, könne sehr wohl „Genugtuung erfahren“. Und die sei angebracht, denn Schwans Buch sei ein „perfides Machwerk“.
Die Beklagten-Seite sieht das freilich alles anders. Der Begriff „Fehlzitate“ sei reichlich schillernd, so Rechtsanwalt Peter Rädler und wirft seinem Kontrahenten einen „juristischen Salto mortale“ vor. Weder ein Zerrbild noch eine Herabwürdigung Kohls seien entstanden.
Der Justiziar der Verlagsgruppe Random House, Rainer Dresen, wertet nach der 105-minütigen Verhandlung die Einlassung des Senatsvorsitzenden als klaren Erfolg für die Beklagten. Nicht nur sei die Frage der Schadenersatzzahlung vom Tisch. Auch im Streit um die Nutzung der 116 strittigen Zitatpassagen sieht Dresen Kohl-Richter im Hintertreffen. Es stehe nun im Raum, ob der BGH die Vorinstanz noch mal damit beauftragt, zu klären, welche Zitate eigentlich Fehlzitate seien. Wenn überhaupt. Eine weitere Auflage mit den erlaubten Zitaten kann sich Dresen vorstellen. Aber erstmal harren nun die Parteien des Urteils des VI. Senats.