Prozess zu Kohl-Protokollen
Der frühere Biograph von Helmut Kohl darf nicht mehr aus vertraulichen Interviews zitieren. Einfangen lassen sich die Äußerungen dennoch nicht mehr.
Von Reiner Burger
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Vertrauensverhältnis missbraucht: Heribert Schwan und seinem Co-Autor Tilmann Jens könnte Kohls „Vermächtnis“ noch teuer zu stehen kommen.
Um kurz nach zehn Uhr am Donnerstagmorgen erringt Helmut Kohl einen scheinbar schönen Sieg. Das Landgericht Köln untersagt Heribert Schwan, dem einstigen „Ghostwriter“ des früheren Bundeskanzlers, die Verwendung von mehr als 100 Interview-Passagen. Damit könnte aus Schwans Bestseller „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ doch noch ein publizistischer Fehlschlag werden. Ohne den pikanten Originalton Kohls wird das Buch seinem Titel in den Augen der Leser kaum gerecht werden.
Schwan habe rechtswidrig gegen die Vertraulichkeit verstoßen, indem er die Kohl-Zitate eigenmächtig für das Buch verwendete, sagt Richter Martin Koepsel in seiner Urteilsbegründung. Doch bis er zu diesem Satz kommt, dauert es noch eine ganze Weile. Schließlich muss der Richter zuerst vortragen, was den drei von Kohl beklagten Parteien – Schwan, seinem Co-Autor Tilman Jens und der Verlagsgruppe Random House – genau untersagt ist. Er muss all die deftigen und abfälligen Werturteile Kohls über Spitzenpolitiker, Manager, über Parteifreunde und Parteifeinde, über christliche und freie Demokraten, über Sozialdemokraten und Grüne, über fast alle und jeden also noch einmal öffentlich vortragen.
Personalpanorama in ungetrübter Pracht
Leider liest Koepsel recht schnell vor und legt weder auf Artikulation noch auf Modulation besonderen Wert. Das passt nicht ganz zum Kohlschen Wortgewitter. Aber es dauert nicht lange, dann ist im kleinen Saal 139 des Landgerichts das Personalpanorama der Republik aus der Sicht eines sehr nachtragenden und verletzten Helmut Kohl trotzdem noch einmal in ungetrübter Pracht versammelt. Saal 139 ist die ideale Bühne für das politisch-juristische Kammerspiel. Denn der Raum ist ganz im Stil der achtziger Jahre gehalten: die Wandvertäfelung, die angeschrammten Tische, der Teppich, alles ist braun. Willkommen in der alten Bundesrepublik.
In Kohls Deutschland konnte eine heute recht erfolgreiche CDU-Spitzenpolitikerin nicht mit Messer und Gabel essen, waren andere Parteifreunde Versager, Nieten, Nullen, Narren, Sparbrötchen oder Schreckschrauben. Führende Sozialdemokraten wiederum belegte Kohl mit Begriffen wie „Volkshochschulhirn“ oder „absurde Figur“. Je länger Richter Koepsel die gewaltigen Worte vorträgt, desto besser kann man sich vorstellen, wie es 2001 und 2002 war, als Heribert Schwan den Altkanzler im Keller seines Oggersheimer Bungalows interviewte, wie sich Kohl immer wieder in einen Abrechnungsrausch redete. Wem Kohl besonders gram war und ist, den belegte er mit Worten wie „hinterfotzig“: sein ultimatives Verdikt aber lautete und lautet: „Verräter“.