Heribert Prantl führt schon lange ein Dasein als eine Art juristisch-journalistische Doppelbegabung. Er kommentiert Juristisches, als ausgebildeter Volljurist nicht selten etwas kenntnisreicher als andere Journalisten, und Politisches, dank langjähriger Journalistentätigkeit oft besser formuliert als andere Juristen. Beides allerdings - kein Wunder für einen ehemaligen Stipendiaten der katholischen Kirche mit einer gewissen Affinität zum Wallfahrtsort Altötting - üblicherweise mit einem etwas penetranten Hang zur Unfehlbarkeit.
2019 atmeten deshalb nicht wenige seiner mit den Jahren schicksalsergeben ("Jo mei, wos schreibt er denn wiada, da Prantl") gewordenen Leser auf, als er endlich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet wurde. Die Erleichterung der Leserschaft war aber etwas verfrüht. Zwar endete da seine Ära als Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und, ein Job wie für ihn geschnitzt, als Leiter des SZ- Meinungsressorts. Aber ihm wurde seitens der SZ ein kommodes Austraghäusel eingerichtet. Man überließ ihm eine samstägliche Kolumne, "Prantls Blick", ab und zu darf er auch noch seine Meinung zu aktuellen Themen in der SZ äußern und neuerdings auch per Newsletter direkt an die Fans schicken. Und wenn man nicht aufpasst, kommt er einem als Abonnenten der Digital-SZ sogar ungefragt in einer allerdings auf gepflegt Bayrisch gehaltenen Videokolumne aufs iPad.
Mit all dem scheint er immer noch nicht völlig ausgelastet zu sein. Hin und wieder schreibt er ein Buch, regelmäßig erhält er einen vorzugsweise katholischen Preis, und wenn der Tag lang ist, gibt er anderen Medien Interviews, gerne auch am frühen Morgen. So sprach er kürzlich mit einem Journalisten des Deutschlandfunks (DLF), passend genau vor der Verhandlung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu den "Kohl-Protokollen", einem Thema, zu dem Prantl sich schon zuvor immer wieder einmal so pointiert wie oftmals neben der Sache liegend geäußert hat. So auch dieses Mal wieder, als er im DLF erklärte, nicht verstehen zu können, weshalb die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Köln, die Klage der Witwe abgewiesen habe. Wörtlich sagte er: "Für mich ist das Urteil des Oberlandesgerichts, das ihm keinerlei Entschädigung, keinerlei Schmerzensgeld zugesprochen hat, völlig unverständlich. Natürlich können alle vermögensrechtlichen Positionen vererbt werden, auch ein Schmerzensgeld."
Daran war so gut wie alles falsch. Nicht etwa wurde Helmut Kohls Klage vom OLG Köln abgewiesen sondern, Kohl war zu dem Zeitpunkt längst verstorben, ging es um den Prozess von Kohls Witwe und Alleinerbin. Auch wurde nicht um Schmerzensgeld gestritten, sondern - juristische Feinheit, die man als Dr. iur. allerdings schon kennen könnte - um Geldentschädigung. Schmerzensgeld, um das es hier aber nicht geht, da immerhin liegt er richtig, der Rechtsexperte, könnte natürlich vererbt werden. Aber nach bisher einhelliger Meinung der Gerichte gilt das eben nicht für das aliud der Geldentschädigung, wie immaterielle Ersatzansprüche für Persönlichkeitsrechtsverstöße nun mal von jeher heißen. Der Grund? Eben weil es sich dabei gerade nicht um eine vermögensrechtliche, sondern eine immaterielle und damit bewusst nicht-vererbliche Rechtsposition handelt.
Als wäre das den am Apparat gebliebenen Zuhörern von Prantls mäandernden Gedankengängen nicht ohnehin längst klar geworden, erklärte er gegenüber dem Interviewpartner des DLF noch einmal explizit: "Ich verstehe das Urteil hinten und vorne nicht." Sollte der BGH das anders als er sehen, wäre das, Prantl, "sehr fatal". Einmal von der Straße abgekommen, vergaloppiert Prantl sich weiter im moralisch-rechtlichen Unterholz und verlangt, dass vor dem BGH "Gewinn abgeschöpft" werden müsse. Auch da lag der Experte wieder knapp daneben, aber deutlich vorbei. Gewinn abgeschöpft wird weder durch Schmerzensgeld noch durch Geldentschädigung, sondern mittels einer Schadensersatzklage. Wie es der Zufall so will und wie Heribert Prantl offenbar gerade nicht geläufig, war ein genau darauf gerichteter weiterer Prozess der Witwe vor dem LG Köln anhängig gemacht worden, der in weiten Teilen abgewiesen wurde und mittlerweile beim OLG in der Berufungsinstanz ist.
All die seit langem feststehenden und vom OLG beachteten Grundsätze zur fehlenden Vererblichkeit von Geldentschädigungsansprüchen hat der BGH in seiner Verhandlung vom 25.10. noch einmal wiederholt und klargestellt, dass für ihn - anders als für den Juristenkollegen Prantl - das Urteil des OLG Köln völlig verständlich war und deshalb aller Voraussicht dessen Ergebnis, die Klageabweisung, bestätigt werden wird. An den Witwen- Anwalt gerichtete verlangte der Senatsvorsitzende vor diesem Hintergrund nahezu Unmögliches. Er forderte diesen auf, nicht nur zu wiederholen, was der BGH bereits wisse, nämlich dass es vereinzelte „Mindermeinungen“ in der Literatur gebe, welche eine Vererblichkeit forderten. Aufgabe des Klägeranwalts sei vielmehr, den Senat zu überzeugen, dass dessen bisherige Rechtsprechung „falsch“ sei.
Es gibt wohl kaum einen Prozessbeobachter, der den Eindruck hatte, dass dieses Kunststück gelang. Der Beklagtenanwalt bewertete die gewagte Darbietung deshalb wohl nicht ohne Grund als „juristischen Salto-Mortale“ (Die Älteren werden sich vielleicht mit Vergnügen erinnern an die gleichnamige Kult-Serie aus den Siebzigern rund um die von Familienzwistigkeiten geplagte Artistentruppe „Flying Dorias“ und die Dompteuse „Tiger- Lily“). Pars pro toto zu den Prozessaussichten nach der BGH-Verhandlung etwa war in der „Süddeutschen“ in einem Artikel von Prantls Kollegen Janisch zu lesen: „Schlechte Aussichten für Kohl-Witwe im Streit mit Ghostwriter“.
Diese Beachtung der BGH-Rechtsprechung durch die OLG-Richter und umgekehrt dann eine entsprechende Bestätigung des ihn respektierenden OLG-Urteils durch den BGH ist auch nicht weiter erstaunlich, sondern die Regel. Das gehört sich unter Richtern, wie auch Heribert Prantl weiß, war er doch mal selber einer, wenn auch wohl eher in den unteren Instanzen unterwegs. Aufgabe des BGH ist es bekanntlich, die Rechtsprechung der Instanzgerichte zu vereinheitlichen und ggfs. fortzubilden. Bis zu einer von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichenden neuen Entscheidung des BGH halten sich deshalb die Oberlandesgerichte an die herrschende obergerichtliche Gesetzesauslegung. Der BGH schreibt hierzu auf seiner Homepage völlig zutreffend:"Die weitreichende Wirkung der Entscheidungen des BGH beruht zudem darauf, dass sich - insbesondere im Zivilrecht - die Rechtspraxis regelmäßig an ihnen orientiert."
Aber ein Heribert Prantl hat es da leichter als ein Richter am OLG. Heribert Prantl orientiert sich schon eine ganze Journalistenkarriere wohl hauptsächlich an Heribert Prantl. Ab und zu nur kollidiert das Prantl’sche Parallel-Universum mit der Realität, so wie vielleicht ja am 29.11., wenn der BGH sein Urteil nicht nur im Geldentschädigungsprozess verkünden wird. Der BGH könnte, wenn man seine vorläufige Rechtsmeinung in der Verhandlung nicht völlig missverstanden hat, nicht nur die Geldentschädigungsklage abweisen, sondern die weit überwiegende Zahl der bislang verbotenen Zitate für rechtmäßig erklären, so dass es dann schon am Rechtsverstoß als Basis für eine Geldentschädigung fehlt. Auf das Ableben Kohls als Grund für die Klageabweisung käme es dann schon nicht mehr an.
Heribert Prantl wird, wie man vermuten darf, am 29.11., erstaunt sein über so viel höchstrichterliche Ignoranz seiner Erwägungen, dann aber vermutlich nur kurz Luft holen und dem BGH tüchtig und auf allen Kanälen - falsch gewünscht sicher auch per Newsletter - die Leviten lesen.
Private Meinung und Kommentar von Rechtsanwalt Rainer Dresen, Justiziar des beklagten Verlage.