Eine SPIEGEL-Titelgeschichte führt zu Wochenend-Arbeit bei Kohls Anwälten
Am Freitag, den 4. Oktober 2014 hat der SPIEGEL das Heft Nr. 41 mit der zehn Seiten umfassenden Titelgeschichte „Die Abrechnung“ gedruckt. In dieser Story wurden neben einer Hintergrundgeschichte ca. 25 Zitate aus den „Kohl-Protokollen“ vorabveröffentlicht. Das Heft gelangte offenbar bereits am Samstag, 5. Oktober in die Hände der Kohl-Anwälte. Noch am selben Tag nämlich verfassten sie, vermutlich in fieberhafter Eile, man kann sich die Thermoskannen mit Kaffee, die Colaflaschen und die Pappkartons des Pizzaservices auf den Kanzleischreibtischen förmlich vorstellen, einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung. Dieser war darauf gerichtet, dem Heyne Verlag aufzugeben, das Buch nicht zu veröffentlichen sowie ggfs. bereits veröffentlichte Bücher zurückzurufen. Zur Begründung verwiesen die Juristen der im Ruhrgebiet politisch bestens vernetzten Kanzlei Holthoff-Pförtner darauf, dass es Autor Schwan aus seiner Zeit als Ghostwriter für Altkanzler Kohl vertraglich untersagt sei, die damals entstandenen Tonbänder mit Kohls Aussagen zu publizieren. Daneben seien durch das Buch bei Heyne Kohls auch Persönlichkeits- und Urheberrechte verletzt.
Ein ähnlicher Antrag wurde eine Tag später, am Sonntag, vielleicht kam für die zur Wochenendarbeit verdonnerten Juristen zur Pizza noch ein Stück trockenen Butterkuchens dazu, auch gegen den Autor Heribert Schwan gestellt. Beide Anträge wurden beim bundesweit als besonders „angreiferfreundlich“ bekannten Landgericht Köln eingereicht, obwohl der Verlag bekanntlich in München sitzt, die Kanzlei in Essen und Helmut Kohl in Oggersheim/Ludwigshafen. Eben jenes LG Köln in Gestalt seiner 14. Zivilkammer, der sog. Urheberkammer, hatte aber vor wenigen Monaten im sog. Tonbandstreit um die Originaltonbänder, auf den Helmut Kohls Aussagen verkörpert sind, mit einer für viele Juristen eher abenteuerlichen, vom Berufungsgericht deshalb auch nicht übernommenen Begründung Kohl das Eigentum an den ursprünglich von Schwan gekauften Bändern zugesprochen. Grund genug offenbar für die Kohl-Anwälte, dieses offenbar Kohl-freundliche Gericht neuerlich und möglicherweise gezielt zu befassen.
Am Sonntag, 6. Oktober wurde schließlich die iPad-Fassung des SPIEGEL und am Montag, 7. Oktober die Printfassung veröffentlicht. Zu jenem Zeitpunkt war noch kein Buch im Handel. Ausgeliefert in hoher fünfstelliger Startauflage wurde es erst ab Montag, 7. Oktober. Am Dienstag, den 8. Oktober tauchten Buch, Hörbuch und E-Book planmäßig im Handel auf und nahmen dank massiver Presseresonanz und live im Fernsehen übertragener Buchvorstellung sofort Spitzenplätze in den Bestsellerlisten ein.
München, 12. Juli 2023
Rainer Dresen
Leitung Rechtsabteilung/Rechtsanwalt
Pinguin Random House Verlagsgruppe GmbH