09.10.2014
Zehn Jahre habe er sich mit Kohl beschäftigt, sagt Ex-WDR-Journalist Schwan. Damit sei der Altkanzler auch Teil seiner Biografie. © Hannibal Hanschke/Reuters
Ex-WDR-Journalist Schwan hat aus vertraulichen Gesprächen mit Helmut Kohl ein Buch gemacht. Nun sind ein paar saftige Zitate im Umlauf. Aber kaum Neuigkeiten. Ortstermin bei der Buch-Präsentation.
Proppenvoll war der Veranstaltungsraum im Ostberliner Luxushotel Westin Grand. Kamerateams, Fotografen und schreibende Journalisten standen sich auf den Füßen. Im Grunde waren sie alle gekommen, um nur eine Erklärung zu hören: Mit welchem Recht hat Heribert Schwan, ehemaliger Ghostwriter von Helmut Kohls Memoiren, Zitate weitergegeben, die er vor einem Dutzend Jahren bei vertraulichen Gesprächen mit dem Altkanzler aufgezeichnet hatte? Ist das nicht eine üble Nummer? Journalistisch unvertretbar? Skrupellose Geschäftemacherei? Der Heyne-Verlag hat Schwans Buch "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle" in einer Auflage von 100.000 Exemplaren auf den Markt geworfen, Verkaufsstart: heute. Auf Amazon steht es bereits auf Platz 1 der Charts.
Den Hype mitangeschoben hat der "Spiegel", der am Sonntag in seiner Titelgeschichte exklusiv Auszüge des Buches druckte. Die krassesten Zitate Kohls stehen sogar auf dem Cover, direkt neben Fotominiaturen der Betroffenen. "Konnte nicht mit Messer und Gabel essen" steht neben Angela Merkel. "Gescheitert" neben Michail Gorbatschow. "Ganz großer Verräter. Eine Null" neben Christian Wulff. So entsteht der Eindruck: Hier redet der Altkanzler wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Gradheraus. Derbe. Voller Hass auf seine Gegner. Und wir können diese Eruption live und in Farbe verfolgen. Ein Schlüssellochblick in Gedanken und Gefühle eines einstmals sehr, sehr mächtigen Mannes. Natürlich weckt das eine geradezu lüsterne Neugier - auch wenn der Artikel zwar viel Lästerliches, aber kaum Neues zu verkünden hat. Dass Kohls Anwälte noch am selben Tag den Eindruck vermittelten, sie könnten juristisch gegen das Buch vorgehen und dessen Auslieferung verhindern, dürfte den Absatz nur zusätzlich gepimpt haben. Der Heyne-Justitiar erklärte nun auf der Pressekonferenz, es gäbe zwar ein Schreiben der Kohl-Anwälte, dieses sei aber juristisch folgenlos.
Heribert Schwan, 69, und sein Co-Autor Tilman Jens, 60, mussten jedenfalls viel Zeit darauf verwenden, sich zu rechtfertigen. Zumal die Gespräche mit Kohl in den Jahren 2001 bis 2002 stattfanden, also während einer für den Altkanzler pechschwarzen Zeit. Die CDU hatte ihn wegen der Parteispendenaffäre zur persona non grata erklärt, Angela Merkel in der "FAZ" öffentlich die Emanzipation der Partei gefordert (Schwan:"Er wird Merkel niemals - niemals! - verzeihen"). Zudem nahm sich Kohls Frau Hannelore das Leben. Kann es sein, dass er in dieser hochemotionalen Phase dazu neigte, besonders hart mit seinen Gegnern umzugehen? Schwan und Jens verneinen. Sie sagen: Kohl habe nie eine Krise gehabt. Er habe nicht an sich selbst gezweifelt. Er unterteile die Menschheit seit jeher in Freund und Feind.
Schwan behauptet ferner, die Gespräche - insgesamt sollen es 630 Stunden gewesen sein - seien nicht vertraulich gewesen. Kohl habe ihn wiederholt aufgefordert, die geäußerten Gedanken zu veröffentlichen: "später einmal". Wobei Schwan "später einmal" nicht mit "nach meinem Tode" übersetzt, sondern mit "nach der Veröffentlichung der Memoiren". Da Kohl sich noch während der Abfassung des vierten Memoirenbandes endgültig von Schwan trennte, fühlt dieser sich nicht mehr zur Zurückhaltung verpflichtet. Eine Verschwiegenheitserklärung, sagt Schwan, habe er ohnehin nie unterzeichnet. Im Übrigen sei das Buch vorteilhaft für Kohl, argumentiert der ehemalige WDR-Journalist. "Man erfährt, dass ich große Achtung vor seiner Lebensleistung habe." Könnte er noch reden, würde Kohl sagen: "Volksschriftsteller - Gratulation!" und würde ihm, Schwan, auf die Schulter klopfen. Was schwer zu glauben ist: Schließlich hatte der Altkanzler erfolgreich auf die Herausgabe der Tonbandmitschnitte der Gespräche geklagt und damit frühzeitig dokumentiert, dass er eine Publikation ablehnt. Schwan jedoch hatte Kopien und Abschriften anfertigen lassen.
Er wollte sich das Thema Kohl nicht aus der Hand nehmen lassen. Und konnte es vielleicht auch nicht: Schwan deutete an, dass die juristischen Auseinandersetzungen mit Kohl ihn finanziell in die Enge getrieben haben. Das könnte ihn, ironischerweise, dazu getrieben haben, nun erst recht ein Buch über Kohl zu schreiben.