Nach dem Verbotsurteil: Vorwort zur Neuausgabe der »Kohl-Protokolle«
Am Freitag, den 3. Oktober 2014, lief der Druck für die Ausgabe Nr. 41 des Spiegel mit der zehn Seiten umfassenden Titelgeschichte »Die Abrechnung« als Aufmacher. In dieser Story wurden neben einer Hintergrundgeschichte ca. 25 Zitate aus den »Kohl-Protokollen« vorab veröffentlicht. Offenbar bereits am Sonntag, 5. Oktober, gelangte das Heft in die Hände der Kohl-Anwälte. Noch am selben Tag nämlich verfassten sie einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen den Heyne Verlag, der das Buch nicht veröffentlichen beziehungsweise gegebenenfalls bereits veröffentlichte Bücher zurückrufen sollte. Zur Begründung führten die Juristen der im Ruhrgebiet politisch bestens vernetzten Kanzlei Holthoff-Pförtner an, es wäre Heribert Schwan aus seiner Zeit als Ghostwriter für Altkanzler Kohl vertraglich untersagt, die damals entstandenen Tonbänder mit Kohls Aussagen zu publizieren. Daneben seien durch das Buch bei Heyne auch Kohls Persönlichkeits- und Urheberrechte verletzt.
Einen Tag später, am Montag, wurde ein ähnlicher Antrag auch gegen Heribert Schwan gestellt. Beide Anträge wurden beim bundesweit als besonders »angreiferfreundlich« bekannten Landgericht Köln eingereicht, obwohl der Verlag in München sitzt, die Kanzlei in Essen und Helmut Kohl in Oggersheim/Ludwigshafen. Bei ebenjenem Landgericht also, das in Gestalt seiner 14. Zivilkammer, der sogenannten Urheberkammer, wenige Monate zuvor im Streit um die Originaltonbänder, auf denen die Gespräche zwischen Heribert Schwan und Helmut Kohl festgehalten sind, Kohl das Eigentum an den Tonbändern zugesprochen hatte – mit einer für viele Juristen eher abenteuerlichen, vom Berufungsgericht deshalb auch nicht übernommenen Begründung.
Am Dienstag, den 7. Oktober, lehnte die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln, die aus Experten für Fragen des Persönlichkeitsrechts bestehende sogenannte Pressekammer, das beantragte Buchverbot rundherum ab. Die von den Kohl-Anwälten behauptete Vertraulichkeitspflicht Schwans, so das Gericht, sei den Verträgen mit dem Droemer Verlag, in dem Kohls autobiographische Erinnerungen erschienen waren, nicht zu entnehmen. Und einen direkten Vertrag Kohl-Schwan habe es nie gegeben. Damit folgte das Gericht in weiten Teilen der rechtlichen Argumentation von Autoren und Verlag, die in Form einer anwaltlichen Schutzschrift vorsorglich bereits am 2. Oktober bei Gericht eingereicht worden war.
Anwälte aber sind hart im Nehmen: Umgehend legte die Kohl-Kanzlei Beschwerde gegen den ablehnenden Bescheid des Landgerichts ein. Das darüber entscheidende Oberlandesgericht Köln jedoch empfahl den Kohl-Anwälten noch am Donnerstag lapidar, den Verbotsantrag zurückzunehmen. Diesem Hinweis folgten sie, wohl um eine für sie negative Entscheidung des Senats zu vermeiden. Der Heyne Verlag erfuhr davon nur aus der Presse, und zwar erst am Freitag, 10. Oktober.
Am selben Tag hatten die Kohl-Anwälte einen erneuten Antrag auf Buchverbot gestellt, diesmal zielten sie jedoch nicht auf ein Komplettverbot, sondern »nur« auf ein Verbot von 115 auf den ersten Blick scheinbar wahllos zusammengestellten Passagen, die zum Teil nur aus wenigen Worten oder sogar aus Formulierungen der Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens bestanden.
Doch statt der Pressekammer reklamierte die Urheberkammer den Fall für sich. Begründung: Am selben Tag, als sie den 115 Passagen betreffenden Verbotsantrag stellte, hatte die Kohl-Kanzlei die bei dieser Kammer bereits eingereichte Klage gegen Heribert Schwan, die darauf zielt, dass er auch die Kopien der Tonbänder herausgeben solle, um einen Antrag erweitert, wonach ihm außerdem die Nutzung dieser Kopien untersagt werden soll. Wegen des »Sachzusammenhangs« beider Verfahren erklärte sich die Urheberkammer für zuständig.
Statt nun aber, wie von den Kohl-Anwälten vielleicht erhofft, ein umgehendes Verbot einzelner oder mehrerer der 115 monierten Passagen zu verhängen, beraumte das Gericht einen Verhandlungstermin für den 30. Oktober an. Dieser hatte es in sich: In der öffentlichen Anhörung hegten die Richter von der 14. Kammer keinen Zweifel daran, dass ihrer Ansicht nach den Verträgen über die damalige Kohl-Autobiographie, die zwischen Heribert Schwan und dem Droemer Verlag einerseits und Droemer und Helmut Kohl andererseits geschlossen worden waren, irgendwie entnommen werden könne, dass Kohl und nicht Schwan über die Verwendung des Tonmaterials frei verfügen könne. Eine Erörterung der 115 monierten Buchpassagen im Detail wollte sich die Kammer ersparen. Der Vorsitzende ließ erkennen, die aus drei Richtern bestehende Kammer werde die einzelnen Aussagen allenfalls in richterlicher Beratung – also quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit und auch der Verfahrensbeteiligten – daraufhin prüfen, ob Kohl sie im Vertrauen auf die angeblich existierende Verschwiegenheitsvereinbarung geäußert habe.
Der anwaltliche Vertreter von Autoren und Verlag, Professor Roger Mann, äußerte sich »entsetzt« über dieses Verständnis von Pressefreiheit und gab seiner Befürchtung Ausdruck, dass bei dieser Vorgehensweise wohl vor allem jene Aussagen verboten würden, die aufgrund von Kohls mitunter drastischer Ausdrucksweise von besonderem öffentlichen Interesse seien. Vom massiven »Gegenwind« des Anwalts und der Präsenz der zahlreichen anwesenden Journalisten wohl nicht unbeeindruckt, verzichtete das Gericht zumindest auf ein Sofortverbot noch am 30. Oktober und setzte stattdessen einen »Verkündungstermin« für den 13. November an.
Saal 139 des Landgerichts Köln, kurz nach zehn Uhr am Donnerstag, 13. November. Obwohl Urteilsverkündungen üblicherweise ohne die Prozessparteien stattfinden, waren die Kohl-Anwälte erschienen. Offenbar wollten sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, endlich ein siegreiches Urteil persönlich in Empfang zu nehmen.
In seiner laut Presseberichten knapp neunzigminütigen Urteilsbegründung – ungewöhnlich lang für einen bloßen Verkündungstermin – sagte Richter Martin Koepsel, Schwan habe gegen eine angeblich vertraglich vereinbarte Vertraulichkeit verstoßen, indem er die Kohl-Zitate eigenmächtig für das Buch verwendete. Zuvor hatte Koepsel den erschienenen Journalisten und den Kohl-Anwälten in aller Ausführlichkeit sämtliche Passagen vorgelesen, die nun den Autoren und dem Verlag verboten sind. Dabei unterstellte das Landgericht, Kohl und Schwan hätten eine vertragliche Regelung in Form eines »Auftrags« geschlossen, und konstruierte eine im – nach Ansicht von Autoren und Verlag – nicht-existenten Vertrag logischerweise auch nicht geregelte »stillschweigende« Vertraulichkeitspflicht gleich mit dazu. Auf einem ganzen Bündel von Hypothesen und Unterstellungen basiert also das Urteil gegen Heribert Schwan.
Gegenüber dem Co-Autor Tilman Jens und dem Heyne Verlag, denen beim besten Willen kein Vertrag mit Kohl zu unterstellen war, musste eine andere Konstruktion herhalten: Das Gericht behauptete, Helmut Kohl habe sich aufgrund der äußeren Umstände keinesfalls in seiner Funktion als Politiker mit Heribert Schwan unterhalten, sondern als Privatperson, und deshalb sei seine Privatsphäre höher zu gewichten als das öffentliche Interesse an den Äußerungen des langjährigen Bundeskanzlers und CDU-Parteivorsitzenden.
Bleibt abzuwarten, was das Oberlandesgericht davon hält – beide Parteien, sowohl Autoren und Verlag als auch die Kohl-Anwälte, haben gegen diese Entscheidung des Landgerichts Köln noch am Tag der Verkündung Berufung eingelegt.
Einstweilen sind, wie in der vorliegenden Fassung des Buches dokumentiert, knapp ein Viertel der Zitate aus den »Kohl-Protokollen« gerichtlich verboten. Das bedeutet aber auch: Rund Dreiviertel der Zitate haben Bestand. Wer sich mit eigenen Augen und im Detail ein Bild davon machen möchte, mit welcher Begründung das Landgericht Köln die einzelnen Zitate verboten hat, kann dies in der frei zugänglichen Rechtsprechungsdatenbank des Landes Nordrein-Westfalen tun: Unter dem Aktenzeichen des Landgerichts 14 O 315/14 ist das Urteil vom 13. November 2014 in Kürze auf www.nrwe.de nachzulesen.
Rainer Dresen, Leiter der Rechtsabteilung der Verlagsgruppe Random House
18. November 2014