Beitrag aus der Ludwigshafener Rheinpfalz von Ilja Tüchter
Was für einen Ort braucht es, um eines Helmut Kohl angemessen zu erinnern? Wie viel Platz ist nötig, damit die Dokumente des Kanzlers der deutschen Einheit aufbewahrt, gesichtet und studiert werden können? Wie viel Geld wird benötigt, um Ausstellungen, Symposien und Führungen über den Ehrenbürger Europas zu veranstalten? Und wer bestimmt überhaupt darüber, wie das Erbe des berühmten Ludwigshafeners zu bewahren und zu deuten ist?
Fragen, die allesamt noch immer einer abschließenden Antwort harren. Der am 16. Juni 2017 verstorbene Altkanzler wäre am 3. April 90 Jahre alt geworden. Geschichte und auch sein Platz in der Geschichte waren ihm immer wichtig. Dass es ein herausragender Platz ist, darüber besteht bei Freunden wie Gegnern Einigkeit.
„Es geht um das Erbe eines herausragenden deutschen Politikers“, gibt Kohls jahrzehntelanger politischer Weggefährte Bernhard Vogel zu bedenken.
Der in Speyer lebende Vogel lernte Kohl 1954 in den gemeinsamen Tagen an der Universität Heidelberg kennen und beerbte den Ludwigshafener 1976 als Ministerpräsident in Mainz. Damals, als Kohl bei der Bundestagswahl satte 48,6 Prozent für die Union einfuhr, trotzdem nicht Kanzler wurde und sich entschied, als Oppositionsführer nach Bonn zu gehen. „Es ist für mich ganz selbstverständlich“, sagt Vogel im RHEINPFALZ-Gespräch, „dass es eine öffentliche Stiftung auch für Helmut Kohl geben muss.“Wie sie bereits für die Kanzler Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt existieren, aber auch für Bundespräsident Theodor Heuss, Reichskanzler Otto von Bismarck und Reichspräsident Friedrich Ebert. „Nur solch eine Stiftung kann dem Erbe Helmut Kohls gerecht werden“, meint der 87-jährige Vogel, der Kuratoriumsmitglied der Willy-Brandt-Stiftung ist. Die Stiftung zu errichten sei Aufgabe des Bundestags, der sich damit auch befasse, so Vogelweiter. Nur,wann ist es soweit?
Helmut Kohls Witwe Maike Kohl-Richter muss nach Vogels Ansicht „ganz klar einbezogen werden“. So wie dies auch im Falle Willy Brandts gelungen sei. Im fünfköpfigen Kuratorium der Brandt-Stiftung sitzen Brandts Witwe und ein Sohn.
Maike Kohl-Richter, die alleinige Erbin des Altkanzlers ist, hat auf zwei aktuelle Anfragen der RHEINPFALZ
hierzu nicht reagiert. In einem ihrer seltenen Interviews sagte sie 2018 dem Deutschlandfunk (DLF): „Ich bin der Meinung, dass ich die Zeit, die mir mein Mann gegeben hat und die Dinge brauchen, auch nehmen sollte.“
Kohl-Richter, die mit Helmut Kohl von 2008 bis zu seinem Tod verheiratet war, prozessiert weiter gegen den Ghostwriter von Kohls offiziellen Memoiren, den Kölner Journalisten Heribert Schwan. Der jüngste Gerichtstermin am Bundesgerichtshof wäre am 19.März gewesen,wurde aber wegen der Corona-Krise abgesagt. Noch ein weiteres Verfahren ist am BGH anhängig, ein drittes am Oberlandesgericht Köln. Auf die Frage, ob sie erst durch alle Instanzen gehen wolle, sagte sie 2018 dem DLF: „Wenn es Sinn macht. Wenn es sein muss.“
Auch Heribert Schwan wollte sich für diesen Artikel aktuell nicht äußern. Der Kölner Journalist hat mit dem Tonband-Material, das für Kohls Biografie zusammengetragen wurde –mehr als 600 Stunden – 2014 ein eigenes Buch auf den Markt gebracht: „Vermächtnis, die Kohl-Protokolle“. Diese Veröffentlichung steht im Zentrum der Gerichtsprozesse. Aus Schwans Sicht geht es um die Freiheit von Journalisten und Wissenschaftlern, die Ära Kohl aufzuarbeiten.Maike Kohl-Richter – wie der Altkanzler zu Lebzeiten – sieht Verträge und persönliche Rechte Helmut Kohls verletzt. Kohl-Richter hat von Vertrauensbruch und Fälschung gesprochen. Schwan sagte hierzu ebenfalls 2018 im DLF: Es gehe ihm darum, „zu verhindern, (…) dass die Witwe (…) irgendwann die Deutungshoheit bekommt über diese Geschichten“.
Eine bundeseigene Stiftung wäre ein Ort, an dem dafür gesorgt würde, dass niemand allein die Deutungshoheit hätte. Kohl-Richter hat von sich gewiesen, diese zu beanspruchen. Einerseits. Sie wolle Ansprechpartner sein. Andererseits sagte sie im DLF, sie wünsche, dass „wenn man was zu Helmut Kohl macht, dass man es im Einvernehmen mit mir macht“. Das entspräche am Ende einem Veto. Wie heikel diese Vetofrage und die Zusammenarbeit mit Maike Kohl-Richter unverändert sind, wurde in den Dutzenden Gesprächen, die die RHEINPFALZ hierzu aktuell geführt hat, immer wieder deutlich. Da wird um Verständnis gebeten, dass man sich dazu „aus Ihnen bekannten Gründen“ zumindest derzeit nicht äußern wolle.
Der Ludwigshafener CDU-Bundestagsabgeordnete Torbjörn Kartes teilte auf Anfrage immerhin mit: „Die Überlegungen, eine Institution zu gründen, die das Erbe des Kanzlers der Einheit lebendig hält, befürworte ich sehr. Sie kann einen zentralen Beitrag dazu leisten, das Wirken Helmut Kohls für die Nachwelt einzuordnen (…). Wir sind dabei, die Einzelheiten hierzu in Ruhe und Sorgfalt abzustimmen.“
Nähere Details – Fehlanzeige. Dabei ist die Frage der Kohl-Stiftung ein altes Thema. Verschiedene Konzepte soll es über die Jahre gegeben haben. So zum Beispiel Mitte der 2000er Jahre aus der Feder von Wolfgang Bergsdorf, einem früheren Mitglied in Kohls sogenanntem Küchenkabinett der engsten Vertrauten. Bergsdorf arbeitete in den 80er Jahren im Bundespresseamt als Leiter der Abteilung Inland. Nach RHEINPFALZ-Informationen wollte Bergsdorf die Dokumente Kohls in der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) aufbewahren. Unterstützt habe ihn dabei der damalige Archivar Günter Buchstab. Kohl sei aber dagegen gewesen, wollte demnach eine separate Kohl-Stiftung.
Die Söhne des Altkanzlers, die sich auch immer wieder in solche Debatten eingeschaltet haben, sind selbst mit ihrer Stiefmutter zerstritten. Es wird nur über die Anwälte kommuniziert. Walter Kohl hat einmal im ZDF erklärt, erwünsche sich eine neutrale Stiftung, die „außerhalb aller Familienmitglieder“ wäre. Für Witwe Kohl-Richter ist dies bisher keine Option.
Das Bundesarchiv in Koblenz hat Kohls Witwe in einem Kondolenzschreiben 2017 angeboten, sie bei der Regelung des privaten schriftlichen Nachlasses zu unterstützen, wie das Archiv der RHEINPFALZ bestätigte. Darauf „hat Frau Kohl-Richter nie reagiert“, teilte der Archivsprecher Tobias Herrmann mit. Dieser meinte ferner: „Dass es für die wissenschaftliche Erforschung einer Kanzlerschaft wünschenswert ist, wenn auch die privaten Unterlagen nach archivischen Standards gesichert und zugänglich gemacht werden, steht vollkommen außer Frage.“ Die Frage ist: Wer regelt was und wie?
Nach RHEINPFALZ-Informationen beschäftigen sich derzeit sowohl die CDU/CSU-Fraktion als auch das Bundeskanzleramt mit dem Thema Kohl-Stiftung. Konkret: Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Sie studierte in Münster und Bonn,war KASStipendiatin. Aus der Bonner Studienzeit kennt sie Bergsdorf, der das KASKonzept für Kohls Nachlass entworfen haben soll. In Staatsministerin Grütters’ (dem Kanzleramt zugehörigen) Haus ist Ministerialdirigent Michael Roik zuständig für Geschichte und Erinnerung. Roik war zehn Jahre lang Büroleiter Helmut Kohls.
Käme es zu einer „bundesunmittelbaren Gedenkstiftung“, wäre über den Bundesetat die Finanzierung gesichert. Es geht hier um Millionenbeträge, wenn auch längst nicht um so viel wie in den USA, wo die Presidential Libraries früherer Regierungschefs HunderteMillionen kosten und zumeist privat finanziert werden,
aber seit 1939 bundesgesetzlichen Regeln unterliegen. Demnach beginnt die Einrichtung einer Presidential Library ab dem ersten Tag nach der Amtszeit eines US-Präsidenten. So auch beimWilliamJ. Clinton Presidential Center mit Park in Little Rock, Arkansas, es kostete beispielsweise 165 Millionen Dollar.
Mitsprache, Deutungshoheit, Finanzierung – neben diesen Punkten stellt sich nicht zuletzt auch die Frage, wo eine Kohl-Stiftung verortet wäre. Ludwigshafen als sein lebenslanger Wohnort drängt sich auf. Die Stadt Ludwigshafen erklärt dazu, sie „würde sich sehr freuen,wenn die Stiftung ihren Sitz in Ludwigshafen hätte“. Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck habe „Frau Dr. Kohl-Richter im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Unterstützung dafür zugesagt“. Die beiden „tauschen sich regelmäßig in größeren Abständen telefonisch und persönlich aus“, so eine Stadtsprecherin.
Nochmal der Vergleich zu Amerika und Kohls Weggefährten und Freund Bill Clinton, der auch bei Kohls Begräbnisfeier in Speyer war: Das Clinton-Center hat 14.100 Quadratmeter Platz. Das wäre vier- bis fünfmal die Ausstellungsfläche des Hack-Museums in der Chemiestadt. In der Clinton-Library sind 78 Millionen Seiten an Papierdokumenten und 20 Millionen E-Mails aufbewahrt.
In Deutschland muss man kleiner denken. Neben dem Kohl-Bungalow in der Marbacher Straße in Oggersheim, den dieWitwe bewohnt, gibt es einen weiteren Ort, der in Frage käme: das Elternhaus des Altkanzlers in der Hohenzollernstraße in Friesenheim. Nach RHEINPFALZ-Informationen verkaufte es Helmut Kohl nach dem Tod der Mutter 1979. Er wohnte dort die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens.
Sowohl Bernhard Vogel als auch Ludwigshafener CDU-Politiker wie der Friesenheimer Josef Keller haben die Idee begrüßt, aus dem Geburtshaus des Altkanzlers einen besonderen Ort des Gedenkens zu machen. Wobei Vogel gegenüber der RHEINPFALZ betont, neben Ludwigshafen sollten genauso Bonn und Berlin einbezogen werden.
Ein früherer Insider in Kohls Umfeld betont indes, dass der Ort oder auch die Organisation einer Stiftung nachrangig seien. Die Arbeit an Kohls Themen aber dringlicher denn je: Die Corona-Krise bedrohe die europäische Einigung – Kohls Herzensanliegen. „Die Stärke und der Zusammenhalt des Westens und der EU, also auch Freiheit und Demokratie, das steht auf dem Spiel.“ Kohls Stimme, ein Erinnern an ihn und seine Vision und seine Zuversicht – seien „jetzt notwendiger denn je“.