Beitrag auf tagesspiegel.de von Jost Müller-Neuhoff
Altkanzler Helmut Kohl sieht überall Verrat, zuletzt den seines Memoirenschreibers – entschädigt werden muss er dafür nicht. Ein Kommentar.
Pacta sunt servanda, lautet ein römischer Rechtsgrundsatz, an Verträge hat man sich zu halten. In dieser Hinsicht ist dem verdienten Memoirenschreiber Heribert Schwan kein Vorwurf zu machen. Er lieferte, bis sein prominenter Auftraggeber Helmut Kohl ihn feuern ließ. Doch statt sich zu grämen, hortete er Tonbanddokumente aus ungezählten Sitzungen und fertigte daraus Jahre später ein eigenes Werk. Ein Buch als Tiefschlag. Für Kohl, aber auch für alle, die Kohl mit seinem Spott überzog: Angela Merkel, Christian Wulff, Norbert Blüm. Ganz zu schweigen von den vielen politischen Weggefährten, deren Name Jüngeren nichts mehr sagt.
Kohl ist getroffen. An diesem Donnerstag verhandelt das Landgericht Köln seine Rekord-Schadensersatzklage über fünf Millionen Euro. Ein außergewöhnliches Verfahren mit einem herausragenden Protagonisten. Entsprechend klingen die Schriftsätze der Kohl-Anwälte. „Ein historisch einmaliges Ausmaß an Rechts- und Vertrauensbruch“, heißt es da, ein rücksichtsloses, skrupelloses, planvolles, unverfrorenes, schamloses Vorgehen. Es handele sich um eine „Superklage“, schließlich gehe es um eine „Superpersönlichkeitsrechtsverletzung“. Und, was dort nicht steht, um einen Super-Exkanzler.
Merke: Wenn Anwälte sich solcher Rhetorik bedienen, fehlen ihnen meist die Argumente. Tatsächlich hat sich Schwan einigermaßen schäbig verhalten. Aus dem, was über das Verhältnis der beiden bekannt ist, geht hervor, dass der Altkanzler persönliches Gefallen fand an dem früheren Journalisten vom Rotfunk WDR, politisch aus der anderen Ecke, doch umso mehr schien Kohl es zu schätzen, den begabten Schreiber gleichsam für seine Zwecke verwendbar gemacht zu haben.
Verträge sind einzuhalten. Schwan hat den seinen erfüllt, den mit Kohls Verlag. Mit Kohl hatte er keinen. Was mit den Dokumenten geschah, die Schwan nach Hause nahm, interessierte den Altkanzler nicht. Er war ganz Kohl. Wenn er vertraute, vertraute er. Vertrauen hieß: Man diente ihm.
Verträge schützen Vertrauen nur bis zu einer gewissen Grenze. Im Falle Kohls haben sie die Gerichte bisher weit gesteckt. Sie haben die Veröffentlichung der alle Beteiligten bloßstellenden Zitate untersagt, merkwürdigerweise unter dem vielfachen Zuspruch derer, die sich am meisten für sie interessieren sollten, der Politiker und Journalisten. Helmut Kohl ist alt, er ist krank, aber er ist nicht heilig. Wer als Kanzler der Einheit einen Journalisten einkauft, um Schmähreden gegen bekannte Politiker zu diktieren, muss Vorsorge dafür treffen, wenn dies auf ewig geheim bleiben soll. Das hat Kohl unterlassen. Verträge schützen Vertrauen, jedoch keine Naivität.
Zweifellos sind die Bänder, ist das Buch von Heribert Schwan, jedenfalls in ungeschwärzter Fassung, ein zeitgeschichtliches Dokument. Es geht dort nicht um Privates, es geht um Politik. Kohls Worte sprechen für sich. Sie machen überdeutlich, weshalb nicht nur seine Partei sich bis heute schwertut, ihm ein ehrendes Andenken zu bewahren. Letztlich sind alle: Verräter. Ob diese Überzeugung mit fünf Millionen Euro honoriert werden muss, sollten sich die Richter überlegen.