09. Okt 2014

Dieses Buch enthält die Wahrheit

F.A.Z.   /09.10.2014

Altkanzler Kohl auf der Buchmesse  -  Heribert - wer?

Mitten im Streit um die Veröffentlichung von Gesprächsprotokollen seines früheren Ghostwriters stellt Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl ein eigenes Erinnerungsbuch vor. Schwan erwähnt er mit keinem Wort.

© NORBERT MÜLLER Auftritt auf der Buchmesse: Für Altkanzler Helmut Kohl wird ein Weg durch die Menge gebahnt

Wenn Helmut Kohl kommt, gibt es Gedränge - zumindest das hat sich nicht geändert. Schon eine Viertelstunde, bevor der Altkanzler am Messestand erwartet wird, um sein neues Buch „Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung“ vorzustellen, herrschen beim Verlag Droemer Knaur Zustände wie beim Verteilungskampf an der Gulaschkanone. An die hundert Menschen drängen sich um den kleinen Stand: Journalisten, Kameraleute, Schaulustige. Man schubst, entschuldigt sich und schiebt weiter. Und in seltener Einmütigkeit stehen sich glühende Kohl-Verehrer und bekennende Kohl-Hasser gegenseitig auf dem Fuß, ohne zu murren.

„Der Schwan kommt wohl doch nicht“, witzelt einer, so als habe er das wirklich erwartet: Dass Heribert Schwan, Kohls früherer Ghostwriter, der am Dienstag ein Buch aus privaten Gesprächsprotokollen mit Kohl veröffentlicht und damit für viel Wirbel gesorgt hat, beim Altkanzler aufschlagen und um Absolution bitten würde. Schwan, der Kohls Biografie schrieb und so gut mit ihm befreundet war, dass der Altkanzler vor Jahren spontan auf dem 60. Geburtstag des „Volksschriftstellers“ (Kohl) auftauchte, hatte für die Arbeit an einer Kohl-Biografie mehr als 600 Stunden Gespräch mit Kohl auf Tonbändern aufgezeichnet.

„Enzyklopädie der süßen Rache“

Obwohl Kohl per vorläufigem Gerichtsentscheid die Herausgabe der Originalbänder von Schwan durchsetzte, zitiert dieser in seinem Buch umfangreich aus den Gesprächen. Schon am Montag hatte der „Spiegel“ Auszüge aus Schwans Buch abgedruckt, in denen Kohl viele alte Vertraute aus der Union bis hinauf zu Kanzlerin Merkel mit Häme und Spott überzieht. Als „Enzyklopädie der süßen Rache“ hatte Schwan das Buch am Dienstag bei der Vorstellung in Berlin bezeichnet. Seither bewegt das Thema die Republik: Durfte Schwan das, der gegen den Gerichtsbeschluss Revision eingelegt hat und sich ansonsten darauf beruft, keine Schweigepflichterklärung unterschrieben zu haben? Und ist es ziemlich, dass der „Spiegel“ vorab aus Schwans Buch zitierte?

Als Kohl wenig später im Rollstuhl am Stand eintrifft, begleitet von seiner Frau Maike Richter-Kohl und seinem noch immer engen Vertrauten, dem „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, interessiert die meisten Schaulustigen denn auch nur eines: Wird sich Kohl zu Schwan äußern und zu dem „Vertrauensbruch“, von dem jetzt allerorten die Rede ist? Kohl, der „Kanzler der Einheit“, sei ein wenig verspätet, weil er direkt von einem Treffen mit den früheren amerikanischen Außenministern Baker und Kissinger komme, sagt Droemer-Verlagsleiter Hans-Peter Uebleis vorher überschwänglich. Kohl ist gefragt wie eh und je, soll das heißen, sein Wort hat Gewicht.

„Helmut Kohl ist das Original. Es gibt keinen anderen Autoren, der die Zeit der Wende selbst miterlebt und als Protagonist mitgestaltet hat“, so Uebleis. Deshalb sei Kohls Buch, eine überarbeitete Neuauflage seines Buchs zum Mauerfall aus dem Jahr 2009, „in keiner Weise austauschbar“. Das geht natürlich an die Adresse Heribert Schwans, der mit seinen Büchern - zumal mit jenem über Kohls verstorbene Frau Hannelore - seinerseits die Deutungshoheit über die Ära Kohl beansprucht und sich darüber mit dem Altkanzler entzweit hat.

„Dieses Buch enthält die Wahrheit“

Kurz darauf ergreift schließlich Kohl selbst das Wort, mit zittriger Stimme und sichtlich von seinem schweren Sturz im Jahr 2008 gezeichnet. Kohl spricht von der Bedeutung Deutschlands und Europas, dankt für das Interesse, empfiehlt den Kauf seines nächsten Buchs über Europa, das Anfang November erscheinen soll.  Von Heribert Schwan kein Wort, und vom „Spiegel“ erst recht nicht - das pflegte Kohl allerdings schon während seiner Amtszeit so. Nur einen einzigen Satz in die vage Richtung Schwans, dessen vieldeutige Milde Kohl früher möglicherweise nie in den Sinn, geschweige denn über die Lippen gekommen wäre: „Dieses Buch enthält die Wahrheit.“

Nach kaum einer halben Stunde ist Kohl wieder verschwunden - und wie es manchmal so ist, empfiehlt es sich, bei seinem alten Freund Kai Diekmann weiterzulesen. Schon am Mittag hatte er auf Twitter - womöglich nicht nur als Fürsprecher, sondern auch als Stimme Helmut Kohls - harte Kritik am „Spiegel“ geübt und sich einen offenen Schlagabtausch mit seinem früheren Stellvertreter Nikolaus Blome geliefert, der jetzt „Spiegel“-Büroleiter in Berlin ist. „Macht man das jetzt so: einfach mal die alten Interview-Tonbänder mit Politikern veröffentlichen? Scheiss auf Regeln“, schrieb Diekmann. Blome antwortete: „Ich finde, die Kohl-Protokolle gehören wie die Wulff-Mailbox ins Bonner Haus der Geschichte. Wohin denn sonst?“

Helmut Kohl dürfte diese mediale Aufregung nicht ungelegen kommen. An ihrem Mann komme in Deutschland niemand vorbei, hat seine Frau Maike Kohl-Richter noch vor einigen Wochen in einem Interview gesagt. Schon lange galt das nicht mehr so sehr wie in diesen Tagen.

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