Beitrag aus der RHEINPFALZ von Ilja Alexander Tüchter
Im Mai hat es Maike Kohl-Richter, Witwe des verstorbenen Altbundeskanzlers Helmut Kohl, endgültig abgelehnt, an der „Bundeskanzler Helmut Kohl Stiftung“ des Bundes mitzuwirken. Im Juni hob sie den Verein „Helmut-Kohl-Stiftung e.V.“ aus der Taufe. Dessen Satzung sichert ihr fast uneingeschränkte Kontrolle zu – sogar über ihren Tod hinaus.
Es ist der 29. Juni. In der Marbacher Straße 11 in Ludwigshafen wird ein Verein gegründet. Er heißt „Helmut Kohl Stiftung e.V.“, zu Ehren des 2017 an dieser Adresse gestorbenen Staatsmanns. Spitzenpolitiker aus aller Welt empfing er zeitlebens in seinem Bungalow. Seine Witwe Maike Kohl-Richter lebt hier nach wie vor.
30 Seiten lang ist das Leitbild des Vereins, der als Antwort auf das Votum des Bundestags am 6. Mai für eine „Bundeskanzler Helmut Kohl Stiftung“ entsteht. Gegen diese Stiftung, das hat sie angekündigt, will Kohls Witwe und Alleinerbin Kohl-Richter klagen.
Das Leitbild ihrer „Gegen-Stiftung“ steht im Internet auf der Seite www.helmut-kohl.de. Allein: Es besteht – abgesehen von einer Überschrift – nur aus einer Sammlung von Zitaten. Von Helmut Kohl und über Helmut Kohl – kuratiert von Kohl-Richter. Die Überschrift des Papiers, das sich auf Kohl-Richters Internetseite findet, läuft über drei Zeilen und beginnt so: „Dr. Helmut Kohl – sein Leben, sein Wirken, seine Politik, seine Überzeugungen“.
Wie unterscheidet sich also die Ludwigshafener Stiftung von der „Bundeskanzler Helmut Kohl Stiftung“in Berlin? Letztere ist seit dem 21. September arbeitsfähig, angeführt von einem Kuratorium, dem der ehemalige Unionsfraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, vorsitzt. Die Bundesstiftung ist eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts in Berlin, ausgestattet mit zunächst etwa drei Millionen Euro aus Steuermitteln, unter der Aufsicht der Staatsministerin für Kultur im Bundeskanzleramt. Wie bei den anderen Stiftungen des Staats für frühere Regierungschefs gehören dem Kuratorium namhafte Persönlichkeiten an, berufen vom Bundespräsidenten.
Dazu gehören unter anderem die früheren rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) und Kurt Beck (SPD), aber auch der frühere luxemburgische Premier und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Zweck der Bundesstiftung ist es, laut Drucksache 19/28790 des Bundestags, „das Andenken an das politische Wirken Dr. Helmut Kohls (...) zu wahren“. Damit solle ein „Beitrag zum Verständnis der Zeitgeschichte“ sowie „zur Erforschung, Stärkung und Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprozesses“ geleistet werden.
Maike Kohl Richters „Gegen-Stiftung“ ist ein eingetragener Verein. Und zwar einer, dessen Geschicke am Ende des Tages nur die heute 57-jährige Maike Kohl-Richter lenkt, die den Altbundeskanzler 2008 heiratete. Dessen erste Frau Hannelore war 2001 aus dem Leben geschieden.
Den Grund für Kohl-Richters Ablehnung der Bundesstiftung hat sie in einer elfseitigen Erklärung dargelegt, die sich auch auf ihrer Internetseite findet: Das Vorhaben widerspreche Helmut Kohls letzten Willen. Ihr verstorbener Mann drohe „zum Spielball der Politik und wechselnder Mehrheitsverhältnisse“ zu werden. Vor allem bemängelte Kohl-Richter, dass die Spendenaffäre von 1999/2000 vor einer Stiftungsgründung aufzuarbeiten sei. Eine „bereinigende Debatte“ im Vorfeld, die „umfassend und öffentlich“ sein müsse, sei ihr Wunsch gewesen, so Kohl-Richter.
Nach Ansicht des Kuratoriumsvorsitzenden der Bundesstiftung, Volker Kauder, ist dieses Thema aber ohnehin außen vor. Kauder erklärte in einem am 30. September veröffentlichten RHEINPFALZ-Gespräch, man werde sich nur mit Kohls Zeit als Bundeskanzler von 1982 bis 1998 befassen. Kauder betonte zudem: „Der Bundeskanzler Helmut Kohl gehört nicht allein seiner Familie. Er hatte ein Staatsamt.“ Eine Zusammenarbeit mit Kohl-Richter werde es wohl vorerst nicht geben, so Kauder weiter. Im jahrelangen Ringen vor der Stiftungsgründung hatte die CDU (welcher Helmut Kohl 1973 bis 1998 vorsaß) der Alleinerbin einen Sitz im Kuratorium angeboten.
Inwieweit Kohl-Richter nun, wie angedroht, sogar gegen die Bundesstiftung klagt, bleibt offen. Wiederholte Interviewanfragen der RHEINPFALZ zu dieser und anderen Fragen liefen bisher ins Leere. Nach Angaben von ihrer Website hat die Alleinerbin sechs Gründungsmitglieder gefunden, die mit ihr zum Zweck des Vereins in Form einer privaten Stiftung folgendes verlautbart haben: „Die Helmut-Kohl-Stiftung ist Zeichen unserer Dankbarkeit und unseres Respekts. (...) Die Helmut-Kohl-Stiftung atmet Dr. Helmut Kohls Geist und trägt ihn weiter.“ Sie leiste einen „wichtigen Beitrag für die Geschichtsschreibung und für die verantwortungsvolle Gestaltung von Gegenwart und Zukunft“.
Weiter heißt es: „Sie arbeitet quellengestützt nach wissenschaftlichen Kriterien.“ Dabei nähere man sich Kohl „behutsam, mit der gebotenen Demut und Distanz“ – und vermeide, „ihm zu nahe zu treten und über ihn für fremde – persönliche oder politische – Zielsetzungen zu verfügen“.
Soweit die auf der Internetseite www.helmut-kohl.de veröffentlichte Darstellung. DIE RHEINPFALZ hat darüber hinaus beim Vereinsregister am Amtsgericht Ludwigshafen Unterlagen eingesehen, die im Zuge der Vereinsgründung von Kohl-Richter eingereicht wurden. Dies sind vor allem: die Satzung der Stiftung und das Protokoll der Gründungsversammlung. Daraus geht auch hervor, wie weit Kohl-Richters Kontrolle reicht.
Die Ludwigshafener Stiftung wurde den Unterlagen des zuständigen Vereinsregisters zufolge in einer anderthalbstündigen Sitzung gegründet. Demnach waren fünf der sieben Teilnehmer online zugeschaltet. Diese Personen reichten im Nachgang postalisch die nötigen Unterschriften nach. Ein Sektumtrunk beendete feierlich die Gründung des Vereins, der sich laut Satzung aus drei Quellen finanzieren soll: „Zuwendungen, Spenden und Beiträge“. Wie hoch diese sind, ist unklar.
Die Gründer jedenfalls sind beitragsfrei gestellt. Eine erste Zuwendungszusage ist in den Unterlagen des Vereinsregisters dokumentiert: 25.000 Euro in bar will Kohl-Richter selber einbringen – sobald die Gemeinnützigkeit des Vereins anerkannt sei. Eine Erklärung vom 28. Juni belegt dies. Eine aktuelle Anfrage der RHEINPFALZ beim Registergericht, ob die Gemeinnützigkeit inzwischen vorliegt, blieb bei Redaktionsschluss unbeantwortet.
Wie wird die Arbeit der Ludwigshafener Kohl-Stiftung aussehen? Kohls Privatarchiv soll laut Satzung digitalisiert und zugänglich gemacht werden. Historisch-politische Ausstellungen sind ebenso Zweck der Stiftung wie die Förderung junger begabter Menschen. Langfristig stellt sich Kohl-Richter vor, einen europäischen „Think Tank“ aufzubauen – im Geiste von Kohls Grundüberzeugungen, die „auf der Grundlage der christlich abendländischen Kultur“ fußen.
Gründungsvorstand ist – einstimmig unter TOP 2 der Versammlung Ende Juni bestimmt – Maike Kohl-Richter. Sie ist auf Lebenszeit gewählt. Stirbt die Vorsitzende, regelt ihr Testament die Nachfolge. Satz 4 von Paragraf 10 der Satzung legt ferner fest: Der Gründungsvorstand sei „bei seiner Arbeit an Weisungen nicht gebunden, auch nicht an solche der Mitgliederversammlung“. Diese ist aber frei, „Empfehlungen“ auszusprechen.
Die Bildung und Besetzung von Organen und Gremien ist laut Satzung alleinige Sache des Vorstands und nicht etwa einer Mitgliederversammlung. Begründungen für solche Personalentscheidungen sind laut Paragraf 6 der Satzung nicht nötig.
Es gibt stimmberechtigte Mitglieder und solche, die „nur“ Fördermitglieder sind. Wer Mitglied wird, entscheidet laut Paragraf 6 der Vorstand. Weitere Ämter wie einen Stellvertreter, Schatzmeister oder Beisitzer gibt es zumindest nach den von der RHEINPFALZ eingesehenen Unterlagen bisher nicht. Dem Gründungsvorstand, also Maike Kohl-Richter, obliegt laut Paragraf 10 der Satzung „die eigenverantwortliche Leitung“ des Vereins „und die Führung der Geschäfte“. Ein Vereinsausschluss des Gründungsvorstands ist laut Paragraf 8 der Satzung nicht möglich.
Neben Kohl-Richter gehören laut Protokoll noch die anderen sechs Gründungsmitglieder zur Ludwigshafener Stiftung. Vier sind Rechtsanwälte, einer ist der Mediziner und baden-württembergische CDU-Landtagsabgeordnete Michael Preusch, mit dem die Kohls verbunden sind, seit der Altbundeskanzler nach einem Sturz 2008 im Heidelberger Klinikum behandelt wurde. Die bekannteste Person unter den Gründern ist – neben Kohl-Richter – der 1932 geborene Unternehmer Hans Peter Stihl, der bis 2002 den gleichnamigen Motorsägen-Konzerns aus Waiblingen führte. Er war in der Zeit von Helmut Kohls Kanzlerschaft Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags.
(Recherche: Ilja Tüchter & Rebecca Sambale)