15. Dez 2022

Ent­schä­d­i­gungs­an­sprüche sind nicht ver­erb­lich

BVerfG zum Vermächtnis der Kohl-Protokolle

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Das BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden der Witwe des Altkanzlers Kohl nicht zur Entscheidung angenommen. Das Gericht bestätigt damit die Entscheidung des BGH zur Unvererblichkeit von Entschädigungsansprüchen.

Es bleibt dabei: Die Witwe und Alleinerbin des ehemaligen Kanzlers Dr. Helmut Kohl hat keinen Anspruch auf eine dem Altkanzler kurz vor dessen Tod zugesprochene Entschädigung von einer Million Euro. Eine Verfassungsbeschwerde von Maike Kohl-Richter gegen entsprechende Gerichtsurteile blieb erfolglos, wie die Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte. Auch eine weitere Verfassungsbeschwerde Kohl-Richters, die die Veröffentlichung und Vebreitung eines Buches über ihren verstorbenen Ehemann betraf, lehnte das BVerfG ab (Beschl. v. 24.10.2022, Az. BvR 19/21 und 1 BvR 110/22).

Vorinstanz: Unterlassung ja, Entschädigung nein

Hintergrund des Verfahrens sind Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) sowie des Oberlandesgerichts (OLG) Köln. Anlass für die Prozesse gab die Veröffentlichung des Buches "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" im Jahr 2014 durch die Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens im Heyne Verlag. Schwan war für das Verfassen des Buchs von Altkanzler Kohl selbst engagiert worden. Dazu führten die beiden lange Gespräche. Schwan nutzte nach Abschluss der Memoiren Material aus diesen Gesprächen für sein umstrittenes Buch "Vermächtnis", gegen das Kohl daraufhin noch Klage einreichte, kurz bevor er verstarb.

Er brachte vor, dass ihn das Buch in insgesamt 116 Passagen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Er klagte daher auf Unterlassung und auf Entschädigung gegen die Autoren sowie gegen den Verlag. Daneben erstritt Kohl in anderen Verfahren, dass er die Tonbänder, die bei diesen Gesprächen mit Schwan zu seinen Memoiren entstanden, erhielt und behalten durfte.

Nach seinem Tod machte seine frühere Ehefrau Dr. Maike Richter-Kohl die Ansprüche des Altkanzlers geltend. Hinsichtlich des Geldentschädigungsanspruchs wies der BGH die Revision zurück. Teilweise erfolgreich waren allerdings die Revisionen bezüglich der Unterlassungsansprüche (Urt. v. 29.11.2021, Az. VI ZR 258/18, VI ZR 248/18). Die Witwe wandte sich anschließend an das BVerfG.

Gegenstände der Verfassungsbeschwerden

Gegenstand der einen Verfassungsbeschwerde sind die gerichtlichen Entscheidungen von OLG und BGH zur Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen des Buches. Die angegriffenen Urteile des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs sahen die Unterlassungsklage nur teilweise als begründet an.

Zum anderen wendet die Witwe sich gegen gerichtliche Urteile, die einen daraus folgenden Entschädigungsanspruchs ablehnten. Wegen verletzter Persönlichkeitsrechte hatte das Kölner Landgericht (LG) Kohl 2017 die Geldentschädigung zugesprochen. Als der 87-Jährige wenige Wochen später starb, war dieses Urteil allerdings noch nicht rechtskräftig. Der BGH hatte 2021 entschieden, dass so ein Anspruch grundsätzlich nicht vererbt werden kann.

Keine Herabwürdigung des Achtungsanspruches

Die Verfassungsbeschwerde der Witwe, welche die Unterlassungsklage betrifft, habe schon keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so nun das BVerfG. Zwar sei die Witwe als Alleinerbin befugt, dessen postmortales Persönlichkeitsrecht geltend zu machen, es fehle jedoch an einer substantiierten Begründung. Die Witwe habe nicht geltend gemacht, dass die angegriffenen Passagen den Achtungsanspruch Kohls aus Art.1 Absatz 1 Grundgesetz (GG) grob herabgesetzt oder erniedrigt hätten. "Der vom Erblasser durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden", so das BVerfG. Zudem sei auch nicht der innerste Kern der Persönlichkeit betroffen, da Kohl die Erninnerungen den Journalisten freiwillig preisgegeben habe.

Das OLG und der BGH haben nach Ansicht des BVerfG zutreffend die Reichweite des postmortalen Persönlichkeitsrechts zugrundegelegt. Auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts komme es nicht mehr an, da dieses nur für lebende Personen gelte. Eine Fortwirkung des Persönlichkeitsrechts nach dem Tod sei zu verneinen.

Anspruch auf Entschädigung nicht vererblich

Als ebenso unbegründet sah das BVerfG die Verfassungsbeschwerde in Bezug auf den Geldentschädigungsanspruch an. Der postmortale Schutz könne keine materiellrechtlichen Ansprüche gegen Private begründen. Die Bereitstellung von Entschädigungsansprüchen sei nicht von dem Schutzauftrag erfasst, der sich aus der Garantie der Menschenwürde ergebe. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines angemessenen Schutzkonzepts sei Sache des Gesetzgebers, so die Bundesrichter.

Das BVerfG bestätigte damit die Entscheidungen des OLG und des BGH, dass Ansprüche auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Grundsatz nicht vererblich sind. Das gelte unabhängig davon, ob der Anspruch im Zeitpunkt des Todes des Verletzen bereits anhängig oder rechtshängig gewesen sei.

Entscheidend dafür sei die Funktion des Geldentschädigungsanspruchs, bei der der Genugtuungsgedanke im Vordergrund stehe. Einem Verstorbenen könne eine solche Genugtuung nicht mehr verschafft werden. Es sei nicht ersichtlich, dass die postmortale Menschenwürde des Erblassers gegen Übergriffe durch die Beklagten schutzlos gestellt war. Dem Erblasser standen bereits zu Lebzeiten und der Beschwerdeführerin stünden nach seinem Versterben Unterlassungsansprüche gegen die Beklagten zu. Dies gewährleiste ausreichenden Schutz.