15. Dez 2022

Helmut Kohl erstritt die höchste Entschädigung der deutschen Rechtsgeschichte – aber seine Witwe darf sie nicht erben

Beitrag auf Handelsblatt.de von Heike Anger

Einst bekam Altkanzler Kohl eine Million Euro Entschädigung zugesprochen, weil sein Memoirenschreiber eigenmächtig handelte. Seine Witwe wollte an das Geld – vergeblich.

Berlin. Nur wenige Wochen vor dem Tod von Helmut Kohl hatte das Kölner Landgericht 2017 dem Altkanzler wegen verletzter Persönlichkeitsrechte eine Million Euro zugesprochen. Es war die bis dato höchste Entschädigung der deutschen Rechtsgeschichte. Doch Maike Kohl-Richter geht leer aus. Das teilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Donnerstag mit.

Die Kohl-Witwe wollte die Entschädigung erben. Da das Entschädigungsurteil vor Kohls Ableben aber nicht rechtskräftig wurde, kam es zur gerichtlichen Auseinandersetzung. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschied 2018, dass der Anspruch nicht vererbbar sei.

Das bestätigte der Bundesgerichtshof vor rund einem Jahr (Aktenzeichen VI ZR 248/18 und VI ZR 258/18). Nun blieb auch die Verfassungsbeschwerde von Maike Kohl-Richter erfolglos (Az. 1 BvR 19/22 u.a.). Damit wäre ihr nun höchstens noch möglich, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.

Tischmanieren von Merkel

Zahlen sollten Autor und Verlag des Bestsellers „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“, den Kohls Memoirenschreiber Heribert Schwan nach einem Zerwürfnis mit dem Altkanzler ohne dessen Einverständnis verfasst hatte. Das Werk hatte Schwan 2014 gemeinsam mit dem Autor Tilman Jens herausgebracht. Jens verstarb 2020.

Bevor es zum Zerwürfnis kam, hatte Kohl dem Journalisten und Historiker Schwan 2001 und 2002 über 600 Stunden lang bei sich daheim in Ludwigshafen-Oggersheim freimütig aus seinem Leben erzählt. Daraus entstanden autorisierte Memoiren in drei Bänden.

Dann jedoch zerstritten sich Altkanzler und Ghostwriter. Die „Kohl-Protokolle“ erschienen ohne die Zustimmung des CDU-Politikers. Schwan nutzte das umfangreiche Material, das er auf Band hatte.

Das Buch enthielt streitbare und pikante Äußerungen von Kohl über zahlreiche bekannte Persönlichkeiten – etwa über Lady Diana und die Tischmanieren der damaligen Kanzlerin Angela Merkel. Das Werk wurde zum Bestseller. Darüber kam es zu mehreren Rechtsstreitigkeiten.

Seit dem Tod von Kohl kämpft seine Witwe auch um die Eine-Million-Euro-Entschädigung. Ursprünglich wollte Kohl sogar eine Entschädigung in Höhe von fünf Millionen Euro erreichen.

Der Vorsitzende des BGH-Senats hatte bei der Urteilsverkündung seinerzeit klargestellt, dass eine Geldentschädigung in erster Linie der Genugtuung diene. „Einem Verstorbenen kann Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden.“

Damit blieb der BGH seiner bisherigen Linie treu. Bereits 2014 hatte er mit dem sogenannten Peter-Alexander-Urteil festgestellt, dass der Sohn des 2011 gestorbenen Sängers und Entertainers nicht für seinen toten Vater gegen die Regenbogenpresse klagen kann.

Verfassungsgericht: „nicht der innerste Kern der Persönlichkeit“ berührt

Die Verfassungsrichterinnen und -richter hatten nun gegen diese Linie keine Bedenken: Es gebe keinen Grundsatz, der besage, dass eine Verletzung der Menschenwürde stets eine Entschädigung nach sich ziehen müsse.

Die zuständige Kammer des Ersten Senats nahm auch eine zweite Klage Kohl-Richters nicht zur Entscheidung an. Dabei ging es um 116 umstrittene Passagen, die zwar Schwan nicht mehr verbreiten darf, aber der Verlag zum größeren Teil. Denn laut BGH sind nur Textstellen tabu, bei denen Kohl entweder falsch zitiert oder mehrdeutige Aussagen in eine bestimmte Richtung missinterpretiert wurden. Ein Verstorbener ist demnach aber nicht davor geschützt, dass Sätze, die tatsächlich so gefallen sind, später veröffentlicht werden.

Auch diese Einschätzung teilen die Verfassungsrichter. „Der vom Erblasser durch seine Lebensleistung erworbene sittliche, personale und soziale Geltungswert ist jedenfalls nicht in einer den Kern der Menschenwürde erfassenden Weise verletzt worden“, teilten sie mit. Durch die freiwillige Preisgabe von Erinnerungen aus der Zeit seiner politischen Verantwortungsübernahme sei „nicht der innerste Kern der Persönlichkeit“ berührt.

Heute ist das Buch, das 2014 im Heyne Verlag erschienen war, nur noch als E-Book auf dem Markt – mit Auslassungen. Maike Kohl-Richter hat wegen der „Kohl-Protokolle“ noch andere Gerichtsverfahren angestrengt. Aktuell läuft am Kölner Oberlandesgericht ein Zivilprozess zu weiteren Zitaten aus dem Buch. Die Herausgabe der Original-Tonbänder hatte Kohl noch zu Lebzeiten durchgesetzt.