29. Nov 2021

Millionen-Entschädigung: Kohls Witwe geht leer aus

Beitrag auf handelsblatt.com von Heike Anger

Maike Kohl-Richter, die Alleinerbin des Altkanzlers, erleidet eine Schlappe vor dem Bundesgerichtshof: Der Anspruch auf eine Geldentschädigung ist nicht vererbbar.

Berlin Es war die höchste Entschädigung der deutschen Rechtsgeschichte, doch ausgezahlt werden muss sie nun nicht. Nur wenige Wochen vor dem Tode von Helmut Kohl hatte das Kölner Landgericht dem Altkanzler wegen verletzter Persönlichkeitsrechte eine Million Euro zugesprochen.

Doch das Urteil wurde vor Kohls Ableben nicht mehr rechtskräftig. Vererbbar ist der Anspruch allerdings grundsätzlich nicht, wie nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Montag feststellte.

Kohls Witwe und Alleinerbin Maike Kohl-Richter bekommt die Entschädigung also nicht und geht leer aus. Möglich bleibt aber noch eine Verfassungsbeschwerde. Der Prozessbevollmächtigte von Kohl-Richter, Matthias Siegmann, hatte zuletzt angekündigt, gegen ein abweisendes Urteil sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.

Zur Urteilsverkündigung des BGH war Kohl-Richter nicht in Karlsruhe erschienen. Wohl aber der Beklagte: der ehemalige Kohl-Vertraute und Buchautor Heribert Schwan.

Im konkreten Streitfall ging es um die Veröffentlichung des Buches „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“. Das Werk brachte Schwan gemeinsam mit dem Autor Tilman Jens 2014 heraus. Jens verstarb im vergangenen Jahr. Der Rechtsstreit mit seinen Erben ist unterbrochen. Am BGH ging es darum nur um die Geldforderung gegen Schwan und den Verlag (Aktenzeichen VI ZR 248/18 und VI ZR 258/18).

Die „Kohl-Protokolle“ und der Bruch zwischen Kohl und dem Autor

Der Autor war einst Kohls Ghostwriter. Über 600 Stunden lang führte er mit Kohl Interviews und zeichnete diese auf Tonband auf. Daraus entstanden autorisierte Memoiren in drei Bänden. Dann kam es zum Bruch zwischen den beiden.


Die „Kohl-Protokolle“ erschienen daraufhin ohne die Zustimmung des CDU-Altkanzlers. Das Buch enthielt streitbare und pikante Äußerungen von Kohl über zahlreiche bekannte Persönlichkeiten von Kanzlerin Angela Merkel bis Diana Spencer – und wurde zum Bestseller.

Darüber kam es zu mehreren Rechtsstreitigkeiten. Wegen verletzter Persönlichkeitsrechte hatte das Kölner Landgericht dem 87-Jährigen im April 2017 eine Million Euro zugesprochen. Die Richter folgten Kohl darin, dass seine Äußerungen vertraulich gewesen waren.

Kohl und später Kohl-Richter hatten sogar mindestens fünf Millionen Euro nebst Zinsen gefordert. In der Berufungsinstanz hatte das Oberlandesgericht (OLG) Köln im Mai 2018 allerdings entschieden, dass der Anspruch nicht vererbbar ist.

Zu Recht, wie der BGH nun entschied. „Die grundsätzliche Unvererblichkeit eines solchen Anspruchs entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung“, hieß es in einer Erklärung des Gerichts. Begründet werde sie mit der Funktion des Geldentschädigungsanspruchs, bei der der Genugtuungsgedanke im Vordergrund stehe – einem Verstorbenen könne Genugtuung aber nicht mehr verschafft werden.

Durchgreifende Gründe, diese Rechtsprechung aufzugeben, sah der VI. Zivilsenat nicht. Schließlich hätten im Streitfall auch keine besonderen Umstände vorgelegen, die – ausnahmsweise – zur Vererblichkeit führten. „Insbesondere wird der Geldentschädigungsanspruch nicht dadurch vererblich, dass er dem Erblasser noch zu dessen Lebzeiten zugesprochen wird, wenn das entsprechende Urteil bei Eintritt des Todes — wie hier — noch nicht rechtskräftig ist“, hieß es weiter.

BGH bleibt seiner Linie treu

Damit blieb der BGH seiner bisherigen Linie treu. Bereits 2014 hatte er mit dem sogenannten Peter-Alexander-Urteil festgestellt, dass der Sohn des 2011 gestorbenen Sängers und Entertainers nicht für seinen toten Vater gegen die Regenbogenpresse klagen kann. Schon hier stellten die Richter fest, es sei zwangsläufig nur möglich, dem Geschädigten Genugtuung zu verschaffen, solange dieser noch lebe (Aktenzeichen VI ZR 246/12).


Auch 2017 entschied der BGH, der Anspruch auf Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung sei grundsätzlich nicht vererblich. Hier machten die Richter klar, dass ein Präventionsgedanke die Gewährung einer Geldentschädigung nicht allein zu tragen vermag (Aktenzeichen VI ZR 261/16).

Sie wiesen damit die Argumentation zurück, dass Strafe nötig sei, damit Presse und Verlage nicht Prozesse um Persönlichkeitsrechte in die Länge ziehen, bis mit dem Tod des Geschädigten alle Ansprüche verfallen.

Im aktuellen Fall hob der BGH indes eine zweite Entscheidung teilweise auf, die 116 derzeit verbotene Textpassagen betrifft. Einen Teil der Zitate erklärten die Richter für zulässig. Andere Passagen muss das OLG Köln noch einmal prüfen.

Hier geht es um die Frage, ob die Zitate wörtlich oder sinngemäß verbreitet werden dürfen. Dem Autor Schwan ist das bereits rechtskräftig verboten. Gestritten wird noch darum, was der Verlag Penguin Random House darf. Derzeit ist das Buch nur noch als E-Book auf dem Markt – mit etlichen Auslassungen.

Die Penguin Random House Verlagsgruppe sieht in dem Urteil „ein wichtiges Signal für die Pressefreiheit“, das über den konkreten Fall hinaus auch für zukünftige Fälle von Bedeutung sein werde. Das Gericht habe deutlich gemacht, dass die zutreffende Wiedergabe von Äußerungen eines verstorbenen Politikers dessen postmortales Persönlichkeitsrecht selbst dann unberührt lasse, wenn diese nicht öffentlich erfolgt seien.

Weiter heißt es in einer Stellungnahme: „Insbesondere können derartige Aussagen nicht verboten werden, nur weil sie Derbheiten oder offene Worte enthalten, die der Eigendarstellung des Politikers nicht entsprechen beziehungsweise dem Bild, das seine Erben nach seinem Tod von ihm in der Öffentlichkeit präsentieren möchten.“

Allenfalls aus dem Zusammenhang gerissene oder sonst unzutreffend wiedergegebene Zitate, die das Lebensbild Kohls grob verzerrten, könnten für eine Veröffentlichung gesperrt werden. Der zur Verlagsgruppe gehörende Heyne Verlag werde sorgfältig prüfen, ob er das Buch der Öffentlichkeit in einer annähernd ursprünglichen Fassung wieder zugänglich machen werde.