07. Feb 2024

Sieg für die Witwe

Beitrag in der FAZ von Reiner Burger

Neues Urteil im Prozess zu Kohls Memoiren

Im kleinen Saal 144 des Oberlandesgerichts Köln hat am Dienstag - vormittag die Urteilsbegründung gerade erst begonnen, da schüttelt Heribert Schwan das erste Mal kaum merklich ungläubig den Kopf. Seit Jahren liefern sich der Ghostwriter der Memoiren Helmut Kohls und dessen Witwe Maike Kohl-Richter eine verbissene Prozessschlacht um ein aus unautorisierten Zitaten des früheren Bundeskanzlers verfasstes Buch. Einige herbe Niederlagen musste Kohl-Richter in den vergangenen Jahren hinnehmen. Die gewiss heftigste war, dass der Bundesgerichtshof (BGH) Ende 2021 entschied, dass Kohl-Richter keinen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von einer Million Euro hat – weil ihr Mann gestorben war, bevor ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden war und der Anspruch nicht vererbbar ist.

Am Dienstag hat nun Schwan eine schwere Schlappe einzustecken. Sie trifft ihn so unvorbereitet, dass er sich nach dem Urteil erst einmal sammeln muss. „Unfassbar“ sei, was ihm nun vom OLG alles zusätzlich verboten worden sei, sagt er schließlich. Tatsächlich hat das Gericht Schwan überraschend nicht nur das Verbreiten von Zitaten Kohls untersagt, sondern zusätzlich noch in erheblichem Umfang Passagen mit – auf den ersten Blick als Meinungsäußerungen zu wertenden – Schilderungen aus dem 2014 ohne Einwilligung des früheren Kanzlers im Heyne-Verlag veröffentlichten Buch „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“. Von dem Verbot umfasst sind alle „Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit sowie hieran anknüpfende Wertungen“, so das Gericht.

Obwohl Zeugen wie Kohls Sohn Walter im Lauf des endlosen Rechtsstreits teilweise mehrfach aussagten, dass die beiden promovierten Historiker Kohl und Schwan keine schriftliche Vertraulichkeitsvereinbarung geschlossen hatten, kommt das OLG am Dienstag zum Schluss, dass es zwischen den beiden Männern doch eine „stillschweigend begründete auftragsähnliche Beziehung“ gab, die als Nebenpflicht eine „umfassende Verschwiegenheitspflicht“ beinhalte. Schwan bestreitet das vehement. „Wenn ein Verleger oder Helmut Kohl selbst mir eine Verschwiegenheit angetragen hätten, wäre ich weggelaufen.“ Schwans Verlag spricht in einer ersten Reaktion von einer „abenteuerlich anmutenden Rechtskonstruktion“.

Im Kern geht es in der Causa Kohl seit Jahren um die mittlerweile legendären Tonbandaufnahmen mit dem mündlichen Vermächtnis des früheren Kanzlers. Schwan hatte in den Jahren 2001 und 2002 Interviews in einer Gesamtlänge von mehr als 600 Stunden mit Kohl geführt und umfangreich Archivalien ausgewertet, um in dessen Auftrag und Namen für ihn zunächst ein sogenanntes Tagebuch und mehrbändige Memoiren zu schreiben. Drei dieser Bände verfasste Schwan zur großen Zufriedenheit Helmut Kohls. Doch mitten in der Arbeit des finalen vierten Bands kam es 2009 zum Bruch zwischen beiden, woran Schwan der zweiten Ehefrau Kohls, Maike Kohl-Richter, die Schuld gab. Der tief gekränkte Schwan veröffentlichte daraufhin 2014 zusammen mit dem mittlerweile verstorbenen Ko-Autor Tilman Jens auf eigene Faust im Heyne-Verlag das boulevardgängige „Vermächtnis“- Buch, das sich auf zumeist deftige Tonbandpassagen stützt. Denn in vertrauter Atmosphäre hatte Kohl seinem Ghostwriter nicht nur ausführlich seine Sicht auf die wesentlich von ihm mitgestaltete jüngste deutsche und europäische Geschichte dargelegt, sondern sich immer wieder in einen Abrechnungsrausch über Staatsmänner, Politiker aller Couleur, Manager und besonders gerne Parteifreunde geredet.

Das neueste Urteil – das wieder viele hundert Seiten füllt – zementiert eine skurrile Situation. Schon im vergangenen Sommer entschied das OLG Köln in einem anderen Verfahrensstrang auf Rücküberweisung des Bundesgerichtshofs, dass der Heyne-Verlag anders als Schwan eine große Zahl der im Buch enthaltenen Kohl-Zitate im vollständigen Wortlaut oder mit vergleichsweise geringen Änderungen verbreiten darf. Am Dienstag bescheinigt der 15. Zivilsenat des OLG dem Verlag zudem, dass er sich bei der Buchveröffentlichung im Unterschied zu Schwan auf Artikel 5 Grundgesetz berufen konnte. Die bereits vor einigen Monaten vom Heyne-Verlag angekündigte Neuauflage des Buchs wird deshalb ohne die Autoren-Nennung erfolgen müssen.