07. Feb 2024

Sieg für Kohl-Richter

Beitrag in der RHEINPFALZ von Ilja Tüchter

Seit zehn Jahren beschäftigt ein Buch des Publizisten Heribert Schwan die Gerichte. Es enthält Zitate von Altkanzler Helmut Kohl, die Schwan als dessen Ghostwriter aufnahm. Ein Urteil stellt nun fest: Schwan wäre zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen.

"Ich verstehe die Welt nicht mehr.“ Der 79-jährige Kölner Journalist und Autor Heribert Schwan ist hörbar angegriffen. An diesem Dienstag hat er am Oberlandesgericht der Domstadt eine heftige juristische Niederlage erlitten. Damit hat er nicht gerechnet.

Seit zehn Jahren schon dauert der Rechtsstreit zwischen Schwan und dem Ehepaar Helmut Kohl und Maike Kohl-Richter. Als der Altbundeskanzler aus Ludwigshafen 2017 starb, setzte seine Witwe und Alleinerbin die Prozesse fort, die sich um ein Buch Schwans von 2014 drehen. „Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle“, hieß es – ein Bestseller im Heyne-Verlag. Der Band fußt auf 630 Stunden Interviewmaterial, das Schwan Anfang der 2000er Jahre in Kohls Bungalow in Ludwigshafen auf Kassette aufnahm. Er tat dies als Ghostwriter für die offizielle Autobiografie des Altkanzlers.

Das OLG Köln hat nun geurteilt, dass Schwan als Rechercheur und Schreiber der Memoiren einer „umfassenden Verschwiegenheitspflicht“ unterlag – und zwar obwohl es hierzu keine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung gab. Schwan hätte also das Buch von 2014 zumindest so nicht schreiben dürfen. Zumindest aus juristischer Laiensicht verblüffend: Gleichzeitig hat das OLG im Verfahren mit dem Aktenzeichen 15 U 314/19 festgestellt, dass „die Voraussetzungen für ein ,Gesamtverbot’“ des Buchs zu „verneinen“ seien. Sprich: „Die Kohl-Protokolle“ muss nicht nachträglich vom Markt. Der Verlag, der zum Bertelsmann- Konzern gehört, gab im vergangenen Herbst bekannt, eine Neuauflage zu planen.

Dass das Buch Kohls Persönlichkeitsrechtemassiv verletzt hat, das ist bereits in anderen Verfahren bestätigt worden: Kurz vor seinem Tod wurde dem Altkanzler eine Schadenersatzsumme von einer Million Euro zugesprochen. Da das Urteil darüber bei Kohls Tod nicht rechtskräftig war, kam es aber nie zur Auszahlung. Das Ringen zwischen Maike Kohl- Richter und Schwan, von dem die Kohls sich 2009 im Streit trennten, bevor der vierte und letzte Band der Memoiren entstehen konnte, berührt auch die Pressefreiheit. Schwan, der früher für den WDR arbeitete, pocht auf das Recht, Informationen aus seiner Recherchearbeit nach dem Bruch mit Kohl selber publizistisch zu verwenden und auch seine Meinung zu äußern.

Das OLG-Urteil spricht ihm das ab und geht noch über frühere Urteile hinaus, in denen es um das Verbot Dutzender Zitate Kohls ging, die Schwan nutzte. Nicht nur haben die Kölner Richter weitere Zitate auf die Verbotsliste genommen. Sie stellten auch fest, dass Schwans Verschwiegenheitspflicht „auch alle anderen Informationen und Umstände aus der gesamten Memoirenarbeit“ umfasst – sowie „alle anknüpfenden Wertungen des Beklagten“.

Für Schwan läuft das auf einen Maulkorb hinaus. Für Aufsehen sorgte „Die Kohl-Protokolle“, weil darin teils ehrabschneidende Aussagen Kohls über politische Weggefährten standen, darunter auch Angela Merkel. Für Schwan ging es aber nach eigener Darstellung gar nicht darum, mit deftigen Sprüchen Auflage zu machen. Vielmehr sei es darum gegangen, dass hier Kohl pur sprach und sich aus den Gesprächen vieles über seine Persönlichkeit und seinen Politikstil ableiten ließen: Kohls politische Genialität, seine Bildung und seine Sprachgewaltwerden offenkundig, aber auch, wie tief verletzt der Ludwigshafen er war.

Eine Anfrage zum OLG-Urteil ließ Maike Kohl-Richter bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Auf ihrer Internetseite hat sie jedoch schon 2019 umfangreich erklärt, worum es ihr geht: Sie wirft Schwan den „Versuch der Geschichtsfälschung“ vor. Und dass er sich zu Unrecht bereichert habe. Schwan wie auch die Verlagsgruppe Random House wollen die 446 Seiten Urteilsbegründung erstmal prüfen. Gut möglich also, dass sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe abermals mit den Kohl-Protokollen befassen muss.