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Helmut Kohl klagte vor seinem Tod wegen eines Buches über ihn, das Ende des Rechtsstreits erlebte er allerdings nicht mehr. Daraufhin wollte seine Witwe die begehrte Entschädigung bekommen, der BGH verneint nun jedoch deren Vererblichkeit.
In den Verfahren zum Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Montag zwei Urteile verkündet (Urt. v. 29.11.2021, Az. VI ZR 258/18, VI ZR 248/18). Hinsichtlich des Geldentschädigungsanspruches, den seine Witwe geltend machte, wies der Gerichtshof die Revision zurück. Teilweise erfolgreich waren allerdings die Revisionen bezüglich der Unterlassungsansprüche.
2014 hatten die Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens im Heyne Verlag ihr Buch mit dem Titel "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" veröffentlicht. Schwan war für das Verfassen des Buchs von Altkanzler Kohl selbst engagiert worden. Dazu führten die beiden lange Gespräche. Schwan nutzte nach Abschluss der Memoiren Material aus diesen Gesprächen für sein umstrittenes Buch "Vermächtnis", gegen das Kohl daraufhin noch Klage einreichte, kurz bevor er verstarb. Er brachte vor, dass ihn das Buch in insgesamt 116 Passagen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Er klagte daher einerseits auf Unterlassung und andererseits auf Entschädigung gegen die Autoren sowie gegen den Verlag. Daneben erstritt Kohl in anderen Verfahren, dass er die Tonbänder, die bei diesen Gesprächen mit Schwan zu seinen Memoiren entstanden, erhielt und behalten durfte.
Das Landgericht Köln (LG) hatte Kohl noch Recht gegeben und die beiden Autoren und den Verlag gesamtschuldnerisch zur Zahlung einer Entschädigung von einer Millionen Euro verurteilt (Urt. v. 27.04.2017, Az. 14 O 323/15). Kohl erstritt damit die höchste Entschädigungssumme in der deutschen Rechtsgeschichte. Während des Berufungsverfahrens starb Kohl jedoch am 16. Juni 2017. Seine Witwe, Maike Kohl-Richter, die Kohls Alleinerbin ist, führte den Rechtsstreit allerdings fort. Daraufhin wies das Oberlandesgericht Köln (OLG) die Klage jedoch ab, da der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundsätzlich nicht vererblich sei. Der Anspruch sei daher mit dem Tode Kohls untergegangen (Urt. v. 29.05.2018, Az. 15 U 64/17).
Dagegen wandte sich Kohl-Richter an den BGH, der die Revision nun jedoch abwies. Der VI. Zivilsenat bestätigte die Ansicht des OLG Köln. Die grundsätzliche Unvererblichkeit eines Entschädigungsanspruchs wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspreche der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Funktion des Anspruchs sei nämlich in erster Linie die Genugtuung, welche einem Verstorbenen aber nicht mehr verschafft werden könne. Im Fall Kohls bestünden auch keine durchgreifenden Gründe dafür, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Außerdem ändere auch der Umstand, dass der Entschädigungsanspruch Kohl noch zu Lebzeiten zugesprochen wurde, nichts an der Unvererblichkeit, denn das Urteil war bei Eintritt seines Todes noch nicht rechtskräftig, so der BGH. Damit geht Kohls Witwe leer aus – ein Verfahrensausgang, der sich bereits in den Verhandlungen Ende Oktober abzeichnete.
Auch Kohls Klage auf Unterlassung hatte damals zunächst Erfolg. Er scheiterte zwar erst einmal vor dem LG Köln bei dem Versuch, das ganze Buch verbieten zu lassen, konnte jedoch eine einstweilige Verfügung vor dem LG erwirken, die auch das OLG bestätigte. Schließlich bestätigte das LG den Anspruch auch in der Hauptsache: Gegen Schwan folge der Unterlassungsanspruch bereits aus der Verschwiegenheitsvereinbarung, die Kohl und Schwan im Rahmen der Gespräche zu den Memoiren geschlossen hatten. Gegen Jens und den Verlag sah das Gericht den Anspruch in den §§ 823 Abs. 1, 830, 1004 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz begründet, da die betroffenen Textpassagen Kohl in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzten.
Die dagegen gerichtete Berufung Schwans wies das Oberlandesgericht Köln zurück. Auch die zweite Instanz sah einen Anspruch auf Unterlassung, der aus der Verschwiegenheitsvereinbarung folge. Dieser bestehe nun auch nach Kohls Tod fort, das allgemeine Persönlichkeitsrecht bestehe nämlich ebenfalls postmortal. Eine Revision ließ das OLG nicht zu und die Nichtzulassungsbeschwerde hatte der BGH bereits am 23. März 2021 abgelehnt.
Die Berufungen des zweiten Autors Jens und des Heyne Verlags waren vor dem OLG damals jedoch teilweise erfolgreich. Zwar treffe auch diese beiden eine Unterlassungspflicht hinsichtlich Kohls postmortalen Persönlichkeitsrechts. Allerdings beziehe sich diese lediglich auf die (angeblichen) wörtlichen Zitate sowie die Wiedergabe solcher. Dagegen legten Jens und der Verlag Revision ein, wobei Jens mittlerweile ebenfalls verstorben ist und der Rechtsstreit mit seinen Erbinnen und Erben unterbrochen ist. Auch Kohls Witwe legte Revision ein.
Vor dem BGH hatten nun beide Parteien teilweise Erfolg. Der Unterlassungsanspruch besteht laut BGH auch gegen den Verlag, beschränke sich dabei wie schon das OLG entschied auf Fehlzitate und nun aber auch auf die indirekte Wiedergabe solcher Fehlzitate, da nur dadurch das Persönlichkeitsrecht verletzt würde. Im Übrigen bestünde keine Unterlassungspflicht für den Verlag. Eine solche folge "insbesondere nicht daraus, dass der vormalige Kläger einer Veröffentlichung einiger Aussagen schon im Rahmen der Memoirengespräche ausdrücklich widersprochen hatte ('Sperrvermerkszitate'), noch daraus, dass die Wiedergabe wörtlicher Zitate eine unzulässige 'bildnisgleiche' bzw. 'intensive' Verdinglichung seiner Person darstellte", führt der BGH aus. Was Kohl tatsächlich so gesagt habe, dürfe der Verlag auch drucken - auch wenn Kohl das ursprünglich nicht gewollt habe. Ein Verstorbener sei davor aber nicht mehr geschützt, erklärte der Vorsitzende BGH-Richter Stephan Seiters. Teilweise habe das OLG die Fehlzitate bereits identifiziert, im Übrigen verwies der BGH zurück.
Das Urteil ist damit rechtskräftig. Möglich bleibt für Maike Kohl-Richter nun nur noch die Verfassungsbeschwerde.
Kohl-Richters BGH-Anwalt Matthias Siegmann sagte: "Wir sind natürlich enttäuscht, dass die Entschädigungsklage vollständig abgewiesen worden ist." Dass das Persönlichkeitsrecht nach dem Tod schwächer geschützt sei, bezeichnete er als "Gerechtigkeitslücke", die allerdings auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet sei. "Wir werden unserer Mandatin raten, dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit zu geben, über diese Rechtsprechung seinerseits nochmals nachzudenken."
Die Verlagsgruppe Penguin Random House teilte derweil mit: "Der Heyne Verlag wird nach Vorliegen der Urteilsgründe sorgfältig prüfen, ob er das Buch der Öffentlichkeit in einer annähernd ursprünglichen Fassung wieder zugänglich machen wird." Aktuell ist das Buch nur als eBook verfügbar. Es finden sich etliche Auslassungen im Text.