Beitrag auf handelsblatt.com von Heike Anger
Der Ghostwriter von Helmut Kohl muss eine wörtliche oder sinngemäße Wiedergabe des Altkanzlers unterlassen. Vorbei ist das juristische Hickhack damit nicht.
Berlin Seit Jahren wird über das Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ vor Gericht gestritten. Nun hat das Kölner Landgericht in der Auseinandersetzung zwischen der Witwe des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl und dessen Ghostwriter am Mittwoch ein Teilurteil verkündet: Der Autor Heribert Schwan ist demnach verpflichtet, eine wörtliche oder sinngemäße Wiedergabe der Äußerungen des Altkanzlers zu unterlassen.
Ebenfalls muss er eigene Wertungen unterlassen, die den Rückschluss auf Äußerungen oder Vorkommnisse während der Zusammenarbeit zulassen. Zudem muss Schwan Auskunft über die erzielten Einnahmen erteilen.
Keine Verschwiegenheitspflicht bestehe hingegen hinsichtlich solcher Umstände, die nur den äußeren Rahmen der Gespräche beschreiben. Die untersagten Passagen umfassen im Ergebnis mehr als 50 Seiten (Zivilsache 28 O 11/18).
Maike Kohl-Richter hatte neben Schwan auch den Co-Autor Tilman Jens verklagt sowie die Verlagsgruppe Random House, in deren Heyne-Verlag das umstrittene Buch erschien. Die Kohl-Witwe verlangte Auskunft über die mit dem Buch, dem Hörbuch und dem eBook erzielten Gewinne. In der Folge könnte sie auf materiellen Schadensersatz klagen.
Nach Ansicht der Kammer stehen der Klägerin allerdings keine Ansprüche gegen den beklagten Co-Autor und den Verlag zu. Anders als mit Blick auf Schwan, der wegen des Verstoßes gegen seine vertraglichen Pflichten haftet, fehlt es hinsichtlich dieser Beklagten „an einer vertraglichen Verbindung zum Altkanzler“, wie das Gericht mitteilte.
Demzufolge hängen die verfolgten Ansprüche davon ab, ob und in welchem Umfang durch die beanstandeten Passagen das postmortale Persönlichkeitsrecht des Altkanzlers konkret verletzt werde. „Auf Basis des Vorbringens der Parteien hat die Kammer jedoch keine derartigen Rechtsverletzungen erkennen können“, hieß es.
„Maike Kohl-Richter ist mit wesentlichen Ansprüchen nicht durchgedrungen“, sagte Medienrechtler Roger Mann, der die Verlagsgruppe Random House vertritt, dem Handelsblatt. „Eine Gewinnabschöpfung gegen den Verlag ist nach dem Urteil nicht möglich.“
Auch der Spiegel-Verlag und Spiegel Online gehörten zu den Beklagten. Hier verfolgte Kohl-Richter Unterlassungsansprüche im Hinblick auf die erfolgte Vor- und Begleitberichterstattung zur Veröffentlichung des Buches, hatte damit allerdings nur geringen Erfolg: Lediglich in vier Fällen sei eine verfälschte Zitierung erfolgt, urteilte das Gericht und untersagte diese.
Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Berufung beim Oberlandesgericht Köln wurde zugelassen. „Das Buch in seiner jetzigen Form kann also erst einmal weiterverkauft werden“, betonte Verlagsanwalt Mann.
Schon vor der Urteilsverkündung hatte Kohl-Richters Anwalt Thomas Hermes dem Handelsblatt auf Anfrage mitgeteilt, dass die Witwe zu dem Gerichtstermin nicht erscheinen würde. Es sei „davon auszugehen, dass nach Prüfung des Urteils von beiden Seiten Berufung eingelegt werden wird“, teilte Hermes mit. Eine weitere Erklärung werde weder er noch Kohl-Richter abgeben.
Eigentlich hatte das Landgericht schon Ende September sein Urteil verkünden wollen. Doch die Staatsanwaltschaft Köln forderte die Akten an, weil gegen einen der Zeugen im Prozess, den ehemaligen Verlagsmanager Hans-Peter Übleis, Strafanzeige wegen Meineids gestellt wurde. Das Gericht verschob daraufhin sein Urteil vorerst. In dieser Sache dauern die Vorermittlungen immer noch an, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte.
Um das Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ wird seit Jahren erbittert vor Gericht gestritten. Es erschien 2014 ohne Freigabe des Altkanzlers. Die beiden Autoren Tilman Jens und Heribert Schwan verarbeiteten darin Material, das Schwan in über 600 Stunden Interview mit Helmut Kohl gewann und auf Tonband mitschnitt. In dem Buch finden sich sehr streitbare Passagen.
Demnach hatte sich Kohl abfällig über andere bekannte Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgelassen, wie die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel und die früheren Bundespräsidenten Christian Wulff und Richard von Weizsäcker.
Aus Sicht der Kohl-Witwe handelt es sich um eine bösartige Darstellung. Entstanden sei eine ehrverletzende Verunglimpfung unter dem Deckmantel einer seriösen Auswertung.
Tatsächlich geht es um die Deutungshoheit, welches Bild des Altkanzlers in der Öffentlichkeit besteht. In einem Interview mit dem „Stern“ hatte Maike Kohl-Richter von einiger Zeit angegeben, ihre Tage seien bestimmt davon, die Gerichtsprozesse um Kohls Lebenswerk weiterzuführen. Es gehe um nichts weniger als darum, „was von dem Staatsmann Helmut Kohl in Erinnerung bleibt“.
Begonnen hatte die Zusammenarbeit um Kohl und Schwan ganz harmonisch. Der Altkanzler setzte den Journalisten als Ghostwriter ein. Mit seiner Hilfe erschienen drei autorisierte Bände mit Kohl-Erinnerungen sowie ein Tagebuch. Doch dann zerstritten sich Altkanzler und Autor. Die „Kohl-Protokolle“ erschienen schließlich ohne Abstimmung mit Kohl. Die Rechtsstreitigkeiten begannen. Und sie dauern über den Tod des Altkanzlers im Juni 2017 hinaus.
In dem aktuellen Prozess war es vor allem darum gegangen, zu klären, ob es eine stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung zwischen Kohl und Schwan gegeben hat. Offen war, ob überhaupt über das Thema Vertraulichkeit gesprochen worden sei. In Schwans Vertrag mit dem Verlag war keine entsprechende Klausel enthalten.
Im Mai hatte dazu auch der jüngere Sohn des früheren Bundeskanzlers vor Gericht eine Aussage gemacht: Peter Kohl gab seinerzeit an, seinen Vater ausdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass der Vertrag mit Schwan keine Verschwiegenheitsklausel beinhalte und dass er das für einen Fehler halte – so unverblümt wie sein Vater gesprochen habe.
Das Verfahren, in dem nun das Urteil erging, war Ende 2017 angestoßen worden. Zuvor war mit Blick auf die „Kohl-Protokolle“ bereits gerichtlich entschieden worden, dass 116 Passagen zu streichen seien und die Verbreitung der Zitate verboten sei. Dagegen hat der Verlag beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision eingelegt. Das Verfahren läuft noch.
In einem zweiten Verfahren ging es noch zu Lebzeiten von Kohl um die Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Das Landgericht Köln sprach dem Altkanzler eine Million Euro Entschädigung zu. Kohl hatte ursprünglich die Rekordsumme von fünf Millionen Euro gefordert.
Allerdings verstarb Kohl 2017, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Mittlerweile geht es auf Betreiben von Kohl-Richter vor dem BGH um die Frage, ob der Entschädigungsanspruch vererblich ist.
In einem dritten Verfahren, das auch beim BGH gelandet ist, geht es um die Herausgabe der Tonband-Kopien, die sich noch bei Schwan befinden, sowie um die Aushändigung von Notizen.
Nach Schätzungen von Experten summieren sich die Prozesskostenrisiken der Kohl-Witwe mittlerweile auf einen hohen sechsstelligen Betrag.