22. Mai 2019

Vermächtnis vor Gericht

Beitrag auf sueddeutsche.de von Christian Wernicke

  • Die Kanzlerwitwe Maike Richter-Kohl ist gegen den Autor der Kohl-Memoiren, Heribert Schwan, und dessen Verlag Random House erneut vor Gericht gezogen.
  • Peter Kohl, der jüngere Sohn Helmut Kohls, unterstellt der zweiten Frau, sie habe bewusst keine Klärung gewollt - um Geld zu verdienen.
  • Auch andere Zeugen, unter ihnen der damalige Droemer-Knaur-Verleger, werden im Gerichtsverfahren gehört.

Peter Kohl hat es kommen sehen. Den Streit, all den Zank ums viele Geld und die jahrelangen Gerichtsverfahren, bei dem es letztlich doch nur um eines gehe, wie er sagt: "die Deutungshoheit für das historische Erbe von Helmut Kohl."

Peter Kohl, 53, der jüngere Sohn des Altkanzlers, sitzt am Mittwoch mit hochrotem Kopf als Zeuge vor dem Landgericht Köln. Eben hat er erzählt, wie es 2001 und 2002 so zuging im Keller des Familienhauses in Oggersheim, als der Vater mit Heribert Schwan, dem Ghostwriter der Kanzler-Memoiren stundenlange Gespräche führte. Über Deutschland und Europa, über Freund und Feind. Das sei, so sagt Peter Kohl, geradezu "eine psychologische Therapie" gewesen für Helmut Kohl, der noch unter Schock gestanden habe nach dem Suizid seiner ersten Frau Hannelore.

Der Filius hörte zu und vernahm lauter "interne Interna", manches sei in der Wortwahl auch "sehr deftig und ziemlich krass" gewesen. Ein Tonbandgerät nahm alles auf. Peter Kohl schwante schon damals: Wenn nicht schnell die Vertraulichkeit dieser Gespräche geklärt würde, "dann werden wir irgendwann vor Gericht landen". Genau so ist es nun gekommen. Denn Maike Richter-Kohl, die zweite Gattin und Witwe des Altkanzlers, hat den Autor Heribert Schwan und seinen Verlag Random House vor Gericht gezerrt, um weitere Passagen aus dem Buch Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle schwärzen zu lassen.

Die Enthüllungen samt Injurien gegen Parteifreunde und Wegbegleiter zerstörten demnach Kohls wahres, nämlich staatsmännisches Bild. Zudem will Kohl-Richter vom Verlag erfahren, wie viel Gewinn Random House mit Schwans Protokollen aus dem Keller eingestrichen hat - um diese Millionensumme dann selbst einzustreichen, "nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtsanhängigkeit". Sie begreift sich als Alleinerbin des Toten, politisch wie pekuniär.

Kohl habe, so sein Sohn, auf die Loyalität von Heribert Schwan gesetzt

Diese Ansprüche der Witwe dürften nun schweren Schaden erlitten haben. Denn Peter Kohl berichtet ausführlich, wie er nach seinen Beobachtungen im Oggersheimer Untergeschoss 2002 versucht habe, dem Autor Schwan und dessen Verlag eine "Vertraulichkeits-Verpflichtung" abzuringen. Er habe seinen Vater bekniet, das zu regeln. "Aber dem war das egal", sagt Kohl, "er hat auf die Loyalität von Herrn Heribert Schwan gesetzt". Und Helmut Kohls Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner "konnte oder wollte das nicht durchsetzen". So sei nichts geklärt worden, nicht einmal, als Schwan als Ghostwriter rausgeworfen wurde. Schuld an der "gewaltigen Schleuder- und Grauzone", in der man sich heute befinde, sei nur eine - die andere Frau. Maike Kohl-Richter, vermutet der Stiefsohn, habe bewusst keine Klärung gewollt. Warum? "Weil sie einen Prozess wollte, weil sie damit Geld verdienen wollte."

Mit dem Prozessauftakt hat Kohl-Richter bereits ihre dritte juristische Schlacht eröffnet. Die Klägerin erschien am Mittwoch nicht. Aber sie hat wiederholt wissen lassen, was sie antreibt: Ums Vermächtnis und das Geschichtsbild ihres 2017 verstorbenen Mannes kämpfe sie, ja um dessen "Unsterblichkeit" als historische Person.

In einem ersten Verfahren, das noch immer beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig ist, erreichte Kohl-Richter, dass einige abfällige Kohl-Zitate nicht länger verbreitet werden dürfen. Laut Schwan soll Kohl über Angela Merkels anfängliche Tischmanieren gelästert haben. Auch habe er deren Konkurrenten Friedrich Merz als "politisches Kleinkind" verhöhnt und sogar seinem historischen Partner Michail Gorbatschow bescheinigt, er sei als Staatschef der Sowjetunion "gescheitert".

Kohl-Richter glaubt, zu solch "ehrverletzenden Verunglimpfungen" hätte sich ihr Mann nie hinreißen lassen. Peter Kohl hingegen, der Ohrenzeuge, missbilligt zwar Schwans Zitatensammlung. Das hätte der Vater "nicht gewollt". Indirekt jedoch bestätigt er damit die Tonlage im Keller.

In einem zweiten Verfahren geht es um eine Million Euro, die das Landgericht Köln Helmut Kohl noch zu Lebzeiten als Entschädigung zugesprochen hatte. Seine Witwe reklamierte das Geld als Erbe - ein Anspruch, den das Oberlandesgericht Köln vor einem Jahr jedoch zurückwies. Auch das Verfahren liegt noch beim BGH.

Heribert Schwan, ein früherer WDR-Journalist, hat 630 Stunden O-Ton aufgenommen. Auf der Grundlage verfasste er 2000 zunächst ein Kohl'sches Tagebuch, dann drei Bände Kanzler-Memoiren. Bevor Schwan den vierten Band (auch über Kohls politisches Ende und seine Ächtung in der Parteispendenaffäre) beginnen konnte, kam es zum Zerwürfnis mit dem Zeitzeugen.

Der damalige Verleger spricht vom Vertrauensbruch des Biographen

Schwan weist dafür Kohls Witwe die Verantwortung zu. Nach dem Suizid von Kohls erster Frau Hannelore 2001 habe Maike Richter seit 2003 begonnen, an seinen Texten herumzukritteln. Das sei nach der Hochzeit 2008 massiver geworden und habe zum Bruch geführt. Aber er hatte ja die Tonbänder, fühlte sich aus dem alten Vertrag mit dem Droemer-Verlag nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet - und veröffentlichte auf eigene Faust seine Protokolle.

Ein anderer Zeuge, der damalige Droemer-Knaur-Verleger Hans-Peter Übleis, deutet Schwans publizistischen Alleingang noch heute als Vertrauensbruch. Er beurteilt den alten Vertrag mit Schwan noch heute als Verpflichtung zu umfassender Vertraulichkeit - was Schwan und Random House bestreiten.

Süffisant fügt Übleis ein, Schwan habe seinerzeit "487 000 Euro und ein paar Zerquetschte" als Honorar erhalten, "plus 70 000 Euro Spesen". Und Helmut Kohl werde "wahrscheinlich eher drei Millionen" bekommen haben - in D-Mark. Übleis, der mit Kohl-Richter einen vierten Memoirenband erwägt, sagt so ziemlich das Gegenteil von Peter Kohl. In zwei persönlichen Gesprächen, so Übleis, habe der Ex-Kanzler 1999 auf Verschwiegenheit bestanden: "Er hat gesagt, alles muss vertraulich sein." Das soll der Kanzler bei einem Treffen zu dritt auch Schwan persönlich auferlegt haben. Wörtlich? Übleis zögert. Das sei 20 Jahre her, "ich gehe davon aus." Auch das also wird umstritten bleiben.